Ein konsequenter Mann und seine Aufgabe

Marcel Koller, der Schweizer Trainer des österreichischen Fußballnationalteams, ist ein ruhiger Mensch. Richtig laut wird er nur, wenn er bei einem Spieler Schlampigkeit und Lustlosigkeit ortet.

Sie sind seit sieben Monaten Cheftrainer des österreichischen Fußballnationalteams. Erkennen die Leute Sie mittlerweile auf der Straße?

Marcel Koller: Ja, ich werde überall und immer wieder angesprochen.

Und nicht nur, wenn Sie im Team-Trainingsanzug auf dem Platz stehen?

Koller: Nein, auch am Flughafen oder sonst an Orten, an denen ich in Zivil unterwegs bin.

Gab es in diesen vergangenen sieben Monaten Momente, in denen Sie ganz sicher waren, dass es die richtige Entscheidung war, beim Österreichischen Fußballbund anzuheuern?

Koller: Wenn ich eine Entscheidung treffe, dann bin ich normalerweise von vornherein davon überzeugt, das Richtige getan zu haben. Dann gehe ich eine Aufgabe an und tue alles dafür, sie zu erfüllen. Man will ja weiterkommen und sich entwickeln. Hätte ich das Gefühl, es wäre völlig verkehrt, würde ich nicht zögern, zum ÖFB zu gehen und meinen Vertrag aufzulösen.

Sie würden nach so kurzer Zeit aufgeben?

Koller: Sicher, wenn ich mich nicht wohl fühlte, brächte das doch nichts. Aber man muss natürlich das Meiste selbst dazu beitragen, dass man sich wohl fühlt.

Das wäre?

Koller: Als Teamchef muss ich auch nach draußen gehen und für die Leute präsent sein, die sich ein Bild von mir machen wollen. Das ist wichtig.

Welches Bild wollen Sie denn für die fußballinteressierte Öffentlichkeit abgeben?

Koller: Ich selbst will nicht in einer bestimmten Weise dastehen. Ich will die Arbeit, die ich zu erledigen habe, tun und umsetzen können, was ich für richtig halte. Mehr nicht. Das Bild machen sich schon die anderen.

Gab es umgekehrt schon Augenblicke, in denen Sie sich wie im falschen Film fühlten?

Koller: Es gibt immer wieder Situationen, in denen man für sich selbst – und natürlich aus seiner eigenen Sicht – darüber nachdenkt: „Passt das so? Ist das professionell?“ Aber ob ich mich beim Team schon einmal völlig daneben gefühlt habe? Nein. Ich hatte, bevor ich mich für diese Aufgabe entschied, das ja auch abgeklärt. Man muss sich vor solchen Entscheidungen schon mit anderen Menschen besprechen.

Mit wem?

Koller: In erster Linie mit meiner Frau, klar. Und dann gibt’s noch den einen oder anderen Freund.

Sie haben als Spieler ausschließlich in der Schweiz, nämlich bei Grasshoppers Zürich, gearbeitet, als Trainer aber in der Schweiz, in Deutschland und jetzt in Österreich. Angenommen, es würde in allen drei Ländern das gleiche neutrale, also nicht regional gefärbte Deutsch gesprochen: Woran würden Sie merken, in welchem Land Sie gerade zugange sind?

Koller: In Österreich bin ich ja noch nicht so lang und möglicherweise gibt’s da auch noch Unterschiede zwischen Wien und Tirol. Aber ich denke, im Ruhrpott sind die Leute eher direkt, manchmal schroff und vielleicht sogar etwas aggressiv, in der Schweiz ist man deutlich zurückhaltender, was ich weder positiv noch negativ bewerten möchte. Und Österreich liegt vielleicht irgendwo dazwischen.

Kommen Sie mit dieser österreichischen Mentalität zurande?

Koller: Wieder nur aus meiner ganz persönlichen Perspektive kann ich sagen, dass ich die Österreicher bisher so kennen gelernt habe, dass sie auf einen zugehen und einen freundlich ansprechen. Sie haben die Hoffnung, dass man etwas bewegen kann.

Verstehen Sie diese typische Mischung aus masochistischem Selbstmitleid und Größenwahn, in der sich der österreichische Fußballfan an sich gern suhlt?

Koller (lächelt): Ich bin noch dabei, das aufzunehmen und zu versuchen, es zu verstehen.

Ihnen selbst ist dieser Wesenszug fremd?

Koller: Ja, weil ich grundsätzlich ein positiver Mensch bin und lieber das Positive als das Negative sehe. Wenn ich in österreichischen Stadien unterwegs bin, höre ich viele nur darüber jammern, wie schlecht im österreichischen Fußball alles ist. Ich versuche, dagegenzuhalten.

Weil Sie von Amts wegen müssen?

Koller: Nein, weil ich es nicht so sehe. Es ist weder alles super und schön, wenn man einmal gewinnt, noch geht alles den Bach hinunter, wenn man verliert. Die Differenzen, die Fallhöhen sind nicht so hoch, aber so nimmt es die Öffentlichkeit halt wahr. Das können wir nicht beeinflussen, wir können beim Team nur dafür sorgen, dass uns nicht in irgendeiner Weise beeinflusst, was von außen kommt. Wir müssen Punkte und Ergebnisse bringen, dann gewinnen die Leute auch wieder mehr Vertrauen zu uns.

Es wird viel über die Bedeutung der Psyche eines Sportlers geredet. Sie haben auch einen Psychologen engagiert, der Ihre Spieler betreut. Wie ist das eigentlich mit der Psyche des Teamchefs? Wie wichtig ist es, dass Sie ausgeglichen und robust sind?

Koller: Absolut notwendig! Wenn ich nicht überzeugt bin, kann ich den Spielern auch nicht überzeugend weitergeben, was ich von ihnen will und welcher Weg der richtige ist.

Was tun Sie für Ihre eigene psychische Stabilität?

Koller: Ich bin grundsätzlich ruhig und gelassen, kann Situationen auch einmal auf mich zukommen lassen und in Ruhe bearbeiten. Ich bin nicht der aufbrausende Typ und weder hektisch noch leicht nervös zu machen. Und ich kann dank meiner eigenen Erfahrung ganz gut einschätzen, wie sich die Jungs fühlen.

Werden Sie noch ruhiger oder auch einmal laut, wenn Sie richtig wütend sind?

Koller: Oh, ich kann schon auch laut werden. Das muss man dann ja auch. Aber man darf weder im privaten noch im beruflichen Bereich beleidigend werden, eigentlich geht’s immer um ein Gespräch.

Woraus beziehen Sie – abgesehen vom reinen Fachverstand – Ihre Autorität?

Koller: Aus der Kraft von Argumenten. Ein Spieler tut ja nicht deshalb, was ich will, weil ich der Teamchef bin, sondern weil ich ihm erkläre, warum es richtig ist.

Was macht Sie so wütend, dass Sie laut werden?

Koller: Wenn sich jemand aus Schlampigkeit oder Lustlosigkeit nicht für das Team aufopfert und dadurch den möglichen Erfolg gefährdet.

Sind Schlampigkeit und Lustlosigkeit für den Trainer an der Seitenoutlinie immer von Unvermögen zu unterscheiden?

Koller: Na ja ... ich denke: Wenn ein Spieler auf den Platz geht, will er auch gewinnen.

Dieses Grundvertrauen haben Sie in Ihre Spieler?

Koller: Das muss man haben. Aber man muss den einen oder anderen vielleicht ein bisschen antreiben. Der Mensch ist grundsätzlich bequem und gemütlich.

Sie haben zuletzt mehrfach öffentlich gesagt, Sie wollten dem österreichischen Team eine Identität geben, eine qualitative Wiedererkennbarkeit. Was macht denn Ihre Identität aus? Was kriegt man, wenn man Marcel Koller engagiert?

Koller: Tja, da geht’s immer um Attribute, die einem eigentlich andere zuschreiben sollten.

Was sagen denn andere über Sie, was Sie auch selbst für zutreffend halten?

Koller: Ich bin zuverlässig und einer, der konsequent seinen Weg geht. Bis zum Schluss. Wann das ist, entscheidet man als Trainer ja nicht unbedingt selbst. Am deutlichsten wird meine Konsequenz allerdings spürbar, wenn ich sehe, dass etwas in die falsche Richtung geht. Ich bin aber auch ein Kumpel, der sich eingliedern kann.

Ihr Vorgänger Didi Constantini wurde bei seiner Bestellung mit praktisch einhelliger Begeisterung empfangen. Bei seinem Abgang gab es dann von vielen Seiten viele böse Worte. Ihnen ist anfangs von allen möglichen Seiten sehr viel Skepsis entgegengeschlagen. Warum wird der ÖFB dereinst ein Stadion nach Ihnen benennen?

Koller (lacht): Das weiß ich nicht.

Aber Sie könnten sich ein Ziel setzen, das ein Denkmal rechtfertigen würde.

Koller: Könnte ich, ja.

Wissen Sie nach 20 Jahren als Profifußballer und nach 15 Jahren im Trainergeschäft noch, warum Sie als kleiner Bub unbedingt Fußballer werden wollten?

Koller: Ja, das weiß ich.

Nämlich?

Koller: Wegen der Emotionen und der Freude am Fußball.

Worin besteht die für Sie?

Koller: Aus der Bewegung an sich, dem Umgang mit dem Ball, aus dem Reiz des Unbekannten, des Unabwägbaren. Man weiß nie, was passiert und wie es ausgeht, ob die gegnerische Mannschaft stärker ist als deine, ob dein Gegenspieler stärker ist als du ... Ich habe als kleiner Junge meinen ersten Ball bekommen und war ab diesem Tag nur noch auf der Wiese unterwegs.

Wie alt waren Sie?

Koller: Ich muss zwei oder drei gewesen sein, hat man mir jedenfalls erzählt. Und wenn ich heute auf dem Platz stehe und den jungen Leuten meine Erfahrung weitergebe, spüre ich dieselbe Freude immer noch.