Erdbebenserie versetzt Menschen in Panik, Priester starb unter Trümmern
Das Erdbebengebiet in Norditalien kommt nicht zur Ruhe. In der Nacht auf Mittwoch wurden über 60 Nachbeben gemeldet. Die Menschen sind durch die anhaltende Bebenserie völlig verunsichert. Die Zahl der Todesopfer stieg auf 17, die Zahl der Obdachlosen auf rund 14.000.
Rom, Bologna – Angst und Verzweiflung herrschen in der italienischen Emilia Romagna: Immer wieder versetzen Nachbeben die Menschen in Panik. In der Nacht auf Mittwoch wurden über 60 Nachbeben gemeldet. Das stärkste mit Intensität 3,8 auf der Richterskala hatte sein Epizentrum in der Provinz Modena und wurde um 8.00 Uhr gemeldet. Dabei kam es zum Einsturz von bereits beschädigten Gebäuden. Tausende Menschen verbrachten aus Angst die Nacht im Freien.
Bei dem erneuten schweren Erdbeben am Dienstagvormittag sind mindestens 17 Menschen ums Leben gekommen. Die Behörden zählen mittlerweile rund 14.000 Obdachlose. Die Häuser und Wohnungen von 8000 Menschen wurden ganz oder in Teilen zerstört. Sie kommen zu den 6000 Bewohnern hinzu, die beim Beben vor gut eine Woche ihre Bleibe verloren hatten.
Nachbeben für Monate
Seismologen rechnen in der norditalienischen Region Emilia Romagna unterdessen mit einer langen Nachbebenserie. Die Erdstöße könnten sogar noch Monate lang andauern. „Es wird bestimmt noch zu weiteren Erdstößen kommen. Nach einem Erdbeben im Jahr 1570, das die Stadt Ferrara erschütterte, dauerten die Nachbeben vier Jahre lang“, betonte Gianluca Valensise, Mitglied des nationalen Instituts für Geologie und Vulkanologie.
Priester unter Trümmern seiner Kirche gestorben
Auch immer mehr tragische Schicksale werden bekannt. So wurde die Kirche, in der er jahrelang täglich die Messe gelesen hatte, für Pater Ivan Martini, Pfarrer der Ortschaft Rovereto in der Provinz Modena, zum Grab. Sein Schicksal bewegt das vom Erdbeben geschockte Italien. Der 65-jährige Priester starb am Dienstag unter den Trümmern seiner Kirche, die schon beim schweren Erdbeben vor eineinhalb Wochen stark beschädigt worden war.
Martini befand sich mit zwei Feuerwehrleuten in der Kirche, um die tiefen, vom Erdstoß am 20. Mai verursachten Risse zu kontrollieren, als die Erde am Dienstag erneut bebte. Der Pfarrer wurde von einer Steinplatte getroffen, die sich von der Decke der Kirche gelöst hatte. Die beiden Feuerwehrleute konnten sich retten.
Das erste Beben am Dienstag hatte eine Stärke von 5,8. Das Epizentrum lag in derselben Gegend von Modena, die bereits vor gut einer Woche von einem starken Beben heimgesucht worden war. Gegen Mittag folgten weitere Erschütterungen der Stärke 5,6.
Kulturdenkmäler schwer beschädigt
Das Erdbeben hat auch viele Kilometer vom Epizentrum entfernt Denkmäler, kulturhistorisch bedeutende Bauten und Kunstwerke schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Schäden an Monumenten und Gebäuden mit geschichtlicher Bedeutung seien unermesslich, sagten die Experten des Kulturministeriums in Rom. Feuerwehrmannschaften waren im Einsatz, um das genaue Ausmaß der Zerstörung festzustellen. Besonders betroffen seien Kirchen und Schlösser in den Provinzen Modena, Bologna und Ferrara.
In San Felice sul Panaro nahe Modena ist nunmehr der auf vielen Titelblättern abgebildet gewesene Turm ganz eingestürzt, von dem nach dem ersten Beben am 20. Mai nur noch die Hälfte übrig geblieben war. In der Ortschaft Mirandola, das in der Nähe des Epizentrums liegt, brach ein Teil des Domes ein. Auch in der Stadt Carpi wurde der Dom aus dem 16. Jahrhundert schwer beschädigt.
Die Folgen des Erdbebens bekamen historische Gebäude auch außerhalb der Emilia Romagna zu spüren. In Padua stürzten einige Fragmente der Basilika des Heiligen Antons ein, während sich mehrere Gläubige darin aufhielten. Die berühmte Kapelle degli Scrovegni mit Giotto-Gemälden blieb dagegen unversehrt. Bei einigen Gebäuden auf der zentralen Piazza delle Erbe von Padua sind tiefe Risse festgestellt worden. Die Universität blieb aus Sicherheitsgründen geschlossen. In Mantua wurde die Kuppel der Kirche zu Ehren der Heiligen Barbara beschädigt.
Schäden in Venedig und Pisa
Auch in Venedig hatten die Erdstöße Folgen. So wurde eine Statue unweit des Eingangs der Gärten Papadopoli schwer beschädigt. Feuerwehrmannschaften waren am Werk, um die Stabilität der Gebäude zu überprüfen. In Pisa musste der Palazzo della Sapienza, Sitz der Jus-Fakultät der Universität der toskanischen Stadt, geschlossen werden. Im Palast befindet sich auch eine alte Bibliothek mit über 600.000 Werken.
26 Millionen leben in gefährdeten Gebieten
Italienische Geologen kritisierten unterdessen mangelnde Vorsorge vor schweren Erdbeben. Fast drei Millionen Menschen leben in Gebieten mit einem „hohen Erdbebenrisiko“, während 21 Millionen Bürger in Gebieten mit einem „erhöhten Risiko“ wohnen. In Italien gebe es aber kaum Prävention, kritisierten die Geologen. 725 Gemeinden in Italien seien von Erdbeben sehr bedroht, eine erhöhte Gefahr bestehe in 2.344 Gemeinden, vor allem in Mittel- und Süditalien.
Auf seismisch aktiven Gebieten befinden sich zwölf Millionen Privatwohnungen und sechs Millionen öffentliche Gebäude. Allein in der vom Erdbeben betroffenen Region Emilia Romagna wohnen 1,3 Millionen Menschen in Gebieten mit einer erhöhten Gefahr, teilte der nationale Rat der italienischen Geologen CNG mit. Besonders bebengefährdet seien Kommunen entlang des Apennins.
Jetzt solle damit begonnen werden, die Bevölkerung auf schwere Katastrophen vorzubereiten, sagte CNG-Präsident Gian Vito Graziano. 60 Prozent der Immobilien in Italien seien vor 1971 errichtet worden, drei Jahre vor Einführung eines Gesetzes, das antiseismische Standards in der Bauwirtschaft eingeführt hatte.
Über 1000 Österreicher meldeten Erdstöße
In Österreich ist das neuerliche Erdbeben in Norditalien deutlich zu spüren gewesen. Laut Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) gingen über 1.000 Meldungen von Menschen ein, die hierzulande die Erdstöße bemerkten. Aus Innsbruck kamen gleich etwa 670 Meldungen, in Klagenfurt waren es 90, in Villach 69 und in Salzburg 20 (Stand 29. Mai, 14.30 Uhr).
Viele Menschen konnten die starken Erschütterungen spüren. Sie berichteten von schwankenden Gebäuden, klirrenden Gläsern und vom Rütteln leichter Möbel. Gebäudeschäden wurden nicht gemeldet. (tt.com, dpa, APA)