Rügens leise Schwesterinsel
Wer das Rauschen der Brandung abseits des Massentourismus genießen will, ist auf der Insel Ummanz gut aufgehoben. Die Insel im Westen von Rügen kennt kaum jemand. Kein Wunder, denn auf ihr leben gerade einmal 274 Einwohner, knapp 20 Haflinger – und zweimal im Jahr Tausende von Kranichen.
Norbert Briesemeister kennt jeder auf der Insel. Der 73-Jährige ist so etwas wie ein Inselunikum. Mit seinem grauen Rauschebart und seinem fülligen Bauch wirkt er wie eine Mischung aus Hochseekapitän, Wildecker Herzbuben und dem Weihnachtsmann. Seit 1970 ist er auf Ummanz – zunächst auf dem Volkseigenen Gut (VEG), später im privatwirtschaftlichen Betrieb, den er 2002 übernahm. 7500 Rinder gab es hier einst, doch Briesemeister hatten es stets die Haflinger angetan. Er hob die Zucht aus der Taufe, heute stehen in seinem Stall noch rund 20 Pferde. Sie sind eine der Hauptattraktionen auf der Insel Ummanz.
Ummanz? Kaum jemand kennt diese Insel im Westen von Rügen. Dabei ist es mit rund 4200 Hektar die fünftgrößte deutsche Ostseeinsel, doch angesichts der 274 Einwohner eines der am dünnsten besiedelten Gebiete Deutschlands. Seit 1901 verbindet eine kleine Brücke Rügen und Ummanz. Doch noch immer verirren sich nur wenige Touristen hierher. Die Insel, die sich an ihrer höchsten Stelle gerade einmal 6,2 Meter aus dem Meer erhebt, wirkt ein bisschen wie der vergessene Teil von Rügen. Wer hierherkommt, tut dies nicht wegen des großen Freizeitangebots, sondern vor allem wegen der Natur und der grandiosen Ruhe.
Da sind die Haflinger von Norbert Briesemeister eine willkommene Abwechslung. Das war schon immer so: „Am Anfang dienten die Pferde den Kindern der rund 300 Arbeiter auf dem Gut als Freizeitbeschäftigung“, erinnert sich Briesemeister. Heute veranstaltet er Kutschenfahrten über die Insel, Gäste können Schnupperreitstunden buchen. Doch allein damit käme er schon lange nicht mehr über die Runden. Seitdem Jürgen Henne vor ein paar Jahren mit in den Betrieb eingestiegen ist, setzen beide verstärkt auf Stutenmilch, die sie landesweit vermarkten.
Die Bewohner der Insel versorgt schon seit Urzeiten ein kleiner Laden. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Die belegte Semmel kostet 48 Cent. Das zweite Geschäft im Hauptort Waase verkauft keine Lebensmittel, sondern Keramik. Inhaberin ist Susan Schmorell. 1991 ist sie auf die Insel gekommen, auf der Suche nach einem passenden Haus für ihre Töpferwerkstatt – ein leerstehendes Gebäude des VEG tat es ihr an.
„Ganz ruhig und beschaulich geht es hier zu“, erzählt sie und blickt hinaus in den Garten. Nur wenige Meter dahinter liegt die Ostsee friedlich im Morgennebel. „Früher haben mich Touristen gefragt, ob ich hier auch im Winter lebe.“ Dabei sei es auf Ummanz in der kalten Jahreszeit doch eigentlich am schönsten. „Da kann man die Akkus vom Sommer wieder auftanken. Aber ich kann die Ruhe eben auch gut aushalten.“
Wer auf der Insel unterwegs ist, dem fällt genau das als Erstes auf: die Ruhe. Das geht auch Briesemeister so: „Ummanz ist schon ein Fleckchen Erde, das sehr ruhig ist.“ Früher war es vielleicht ein bisschen lebhafter. Doch Kindergarten und Schule haben längst zugemacht. Über die Ruhe freuen sich vor allem die Zugvögel. Zweimal im Jahr machen Heerscharen von Kranichen Rast auf Ummanz. Von einem Beobachtungspunkt im Norden der Insel verfolgen Besucher die Vögel. Leben auf die Insel bringen ein Surfhostel und eine Surfschule. „An der Westseite der Insel gibt es ein hervorragendes Surfrevier“, erzählt Schmorell. In einer angegliederten Kulturscheune steigen hin und wieder Veranstaltungen, zu denen auch Gäste des benachbarten Campingplatzes kommen. Im Hauptort Waase hat in diesem Frühjahr eine Kaffeerösterei eröffnet. Ansonsten müssen Urlauber, die etwas Abwechslung von der Ruhe suchen, doch nach Rügen ausweichen. Dort ganz im Westen liegt der „festländische Teil“ der Gemeinde Ummanz. Hier gibt es zwei Erlebnisbauernhöfe und eine Destillerie der besonderen Art. Rainer Hessenius und seine Frau haben die erste Edeldestillerie von ganz Mecklenburg-Vorpommern eröffnet. Von Haus aus Gastronom kam er direkt nach der Wende auf die Insel und wurde auf die alten Obstbäume aufmerksam. „Ich habe überlegt, was man daraus machen kann“, erinnert er sich. Und kam schnell auf die Idee mit den Edelbränden.
Monatelang drückte er die Schulbank, sanierte den alten Hof und pflegte die Bäume. Ausschließlich Tafelobstqualität landet in den Flaschen. Und noch etwas anderes macht die Brände zu einer Besonderheit: „Die Vegetation ist hier vier Wochen später als anderswo“, erzählt Hessenius. Dadurch wird schon mal bis Mitte Dezember geerntet. „Die Bäume haben dann kein Laub mehr, die Früchte bekommen eine Zusatzportion Sonne.“
Zurück auf der Insel lohnt die Kirche in Waase einen Abstecher. Auf sie sind die Ummanzer neben den denkmalgeschützten Fischerhäusern im Ortsteil Freesenort besonders stolz – vor allem auf ihren Altar. Gekauft hatte ihn einst die Stadt Stralsund in Antwerpen, doch irgendwann verlor sie die Lust daran und vermachte ihn den Ummanzern. Der Altar zeigt unter anderem in kunstvollen Schnitzereien das Leben von Thomas Beckett, einem Erzbischof von Canterbury, der heiliggesprochen wurde.
Offenbar bereuen die Stralsunder heute ihre Schenkung. Sogar einen Prozess haben sie schon angestrengt – vergeblich. Der Altar bleibt auf Ummanz. So sind sie eben, die Ummanzer. Stolz auf ihre Besonderheiten, aber eben auch ein bisschen bestimmt, wenn es sein muss – vor allem aber ohne jede Hektik, so wie die Insel selbst: „Die Leute hier sind ein eigener Schlag“, sagt Schmorell, „immer mit der Ruhe, nichts überstürzen.“ (dpa)