Erforschung der Vergangenheit
Susanne Brandstätter befragt in „The Future‘s Past“ Täter und Opfer der Roten Khmer.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Zwischen 1975 und 1979, während der Herrschaft Pol Pots über Kambodscha, wurde ein Viertel der Bevölkerung auf unterschiedliche Weise ermordet. Erwachsene wurden oft von den eigenen Kindern erschlagen, wegen der Misswirtschaft gehörte der Hungertod zum Alltag. Die zwei Millionen Opfer sind allerdings nur eine Zahl, die einerseits nichts über die Grausamkeit des Regimes aussagt und andererseits irgendwann auch korrigiert werden muss. Nach der Vertreibung der Roten Khmer war Kambodscha auf internationale Hilfe angewiesen, doch die Hilfsgelder wurden nach der Bevölkerungszahl berechnet und da erschien es opportun, die Opferzahl zu „schönen“, um das Land nach Jahren im „Steinzeitkommunismus“ neu zu beleben. Da schon keine Einigkeit über das Ausmaß des Schreckens herrscht, streiten Historiker auch über Ursachen und Verantwortung innerhalb der Machtstrukturen bei den Roten Khmer, die jede Form von Fortschritt verurteilten. Brillenträger etwa waren am leichtesten als vermeintliche Intellektuelle und Anhänger einer dekadenten, feindlichen Kultur zu erkennen und wurden sofort ermordet. Aber wie funktionierte die Befehlskette? Wurden die Massenmorde von Pol Pot angeordnet?
Auf solche Fragen versuchen seit einigen Jahren Tribunale in Kambodscha eine Antwort zu finden. Die austro-amerikanische Dokumentarfilmerin Susanne Brandstätter verfolgt in ihrem Film „The Future‘s Past“ drei kambodschanische Familien bei der Erforschung der Vergangenheit und bei ihrer ganz individuellen Suche nach Antworten, denn Schuld und Sühne sind auch eine Frage der kambodschanischen Mentalität.
Bei einem nach Frankreich vor den Roten Khmer geflüchteten Soldaten, der in Paris als Taxifahrer lebt, übernimmt dessen Tochter die Rolle der Anklägerin. Für sie gibt es keine Ausrede. Wer bei diesen Tötungsaktionen mitgemacht hat, soll auch schuldig sein und sich nicht auf einen abstrakten, aber von Soldaten gern zitierten Befehlsnotstand berufen können. Enger wird es für einen ehemaligen Dorfvorstand, der seinen Vorgesetzten jede Auffälligkeit im Dorf melden musste. Die von ihm denunzierten Dorfbewohner wurden zu Schulungen abgeholt, aber Schulung war nur ein Synonym für Exekution. Davon will dieser Dorfvorstand nichts geahnt haben und zugleich im Fall mangelnden Eifers um das eigene Leben gefürchtet haben. Es sind schmerzhafte Erinnerungen, die in Kambodscha scheinbar noch immer verdrängt werden, um ein Zusammenleben zwischen Tätern und Opfern möglich zu machen. Wie aus dieser Vergangenheit eine Zukunft entstehen kann, ist eine Frage der Wahrheitsfindung, um die sich Susanne Brandstätter auf berührende Weise bemüht.