Vor Ukraine-Spiel: Auf der Suche nach der heilen Welt

Die beste interne Stimmung hat nur einen Wert, wenn das Ergebnis stimmt. Das ÖFB-Team ist heute im Tivoli gegen die Ukraine auf Rache fürs 1:2 vom November aus.

Von Hubert Winklbauer

Seefeld –Komplexes Denken und soziologische Sensibilität, wissenschaftliches Know-how, Reiselust hin zu all den europaweit verstreuten ÖFB-Kickern, Gesprächsbereitschaft: Das ist es, was Marcel Koller attestiert wird. Die Trainingskiebitze sahen ihn bislang in Seefeld zudem als leidenschaftlichen Taktik- „Freak“, der sich bei diesem Camp erst einmal in die Arbeit mit seiner Defensive verkrallt hat. Ja, und noch etwas ist Marcel Koller: telegen! Und zudem moderiert er eloquent den Wandel des rotweißroten Fußballs der Nach-Constantini-Ära. Ein Sportpsychologe ist Teil seines Betreuerteams, der Kondi-Guru Roger Spry auch. Co-Trainer Fritz Schmid wurde als Querdenker von Medien auf Anhieb hofiert. Thomas Janeschitz als zweiter Co ist so etwas wie ein Gegenentwurf zu Schmid, Janeschitz beherrscht den Spagat zwischen Theorie und Praxis. Otto Konrad hat als Tormanntrainer unbestrittene Qualitäten. Und das Wichtigste? Die Spieler ziehen mit. Betont Marcel Koller bei jeder Pressekonferenz.

Und wenn jetzt auch noch die Ergebnisse stimmen, ist das ÖFB-Team das, was es in den letzten Jahren viel zu selten war: Teil der heilen Welt. Aber heute gilt es im Innsbrucker Tivolistadion erst einmal die Ukrainer zu „panieren“. Mit einem Remis ließe es sich auch noch leben. Aber bei einem Flop könnte es schon sein, dass sich das Raunzerische in der rotweißroten Fußballseele zu einem eruptiven Ausbruch ballt.

Marcel Koller, der Schweizer auf der rotweißroten Kommandobrücke, hat so seine Vorstellungen, wie sich Österreich heute präsentieren soll: so wie am 15. November 2001 im verschneiten Lemberg vor 31.000 Fans im Testspiel gegen die Ukraine. Die Österreicher hatten damals gespielt, als ob Koller in nur wenigen Tagen als Chefcoach den ominösen Schalter gefunden und umgelegt hätte, der im rotweißroten Fußball das aggressive Pressing, die Ruhe am Ball, die Kombinationssicherheit und das durchgehende Engagement zum Vorschein gebracht hat.

Es hätte ein perfektes Debüt werden können, wenn – ja, wenn Rot-Weiß-Rot die Partie nicht in der allerletzte Minute doch noch mit 1:2 verloren hätte. Österreich hatte sich als besseres Team mit zunehmender Dauer da Fehler im Detail geleistet, die fatal endeten. An diese Fehler (in der Defensive) hatte Koller zuletzt erinnert. Aber damals hieß die Abwehrformation Almer; Schiemer, Prödl, Pogatetz, Fuchs. Heute heißt sie möglicherweise Gratzei; Klein, Scharner, Prödl, Suttner. Scharner vom Mittelfeld dorthin zurückbeordern, wo sich einer keine Freiheiten erlauben darf, könnte eine gute Idee sein. Der „Rest“ stellt sich fast von alleine auf: Baumgartlinger und Alaba defensiv im Mittelfeld, offensiv (mit Defensivaufgaben) Ivanschitz und Junuzovic. Arnautovic als Freigeist, und vorne ist Janko, der Kapitän, gesetzt. Der hofft, dass die Spielanlage im Team endlich auf ihn zugespitzt ist.

Der Star des rotweißroten Teams ist dennoch einer, der sich als Antistar gibt: David Alaba. Der ist nett zu den Fans, nett und sanft zum Leder – aber der auf den ersten Blick schmächtige 19-Jährige outet sich auch als entschlossener Fighter, in den Zweikämpfen ist er alles andere als nett. Er wird heute gegen die Ukrainer Führungsspieler sein. Ob er diesen Titel will oder nicht. Aber seine Nebenspieler werden ihn in schwierigen Situationen suchen – und finden. Denn er ist ja keiner, der sich versteckt.

Zum Experimentierfeld will Trainer Koller das Tivolistadion nicht machen. Womöglich schaut er sich die Talente dann gegen Rumänien genauer an. Das ÖFB-Team weiß die Statistik auf seiner Seite: Innsbruck ist Österreichs einziger Länderspiel-Austragungsort, in dem das ÖFB-Team noch ungeschlagen ist. Sieben Spiele, sechs Siege, ein Remis, 19:6 Tore.

Dass den Österreichern heute Leistungsträger wie Martin Harnik, Christian Fuchs, Emanuel Pogatetz oder Jakob Jantscher verletzungsbedingt fehlen, war bei Koller nie ein Thema. Wohl aber, dass Schiemer just am heutigen Spieltag heiratet: „In Wirklichkeit ist das unprofessionell.“