Südliche Sehnsuchtslandschaften
Die Liparischen Inseln: Eine Retrospektive verneigt sich vor dem italienischen Kino und dessen Lieblingskulisse.
Von Joachim Leitner
Innsbruck –1949, wenige Stunden nachdem sie Roberto Rossellinis „Rom, offene Stadt“ in einem kleinen Kino in Hollywood gesehen hatte, schrieb Ingrid Bergman dem Regisseur des Films einen Brief. Sie, die sich an der Seite von Humphrey Bogart in „Casablanca“ zu Weltruhm gespielt hatte und bereits einen Oscar ihr Eigen nannte, bot ihm an, in seinem nächsten Film eine Rolle zu spielen. Schränkte aber ein, dass sie auf Italienisch nur zwei Worte sagen konnte: Ti amo. Den Brief adressierte sie an ein italienisches Studio, das, so jedenfalls wird es seit Jahrzehnten erzählt, just an dem Tag, an dem der Brief eintraf, in Flammen aufging. Als das, was von dem Schreiben übrig blieb, Rossellini endlich überreicht wurde, soll dieser lapidar gefragt haben, wer denn diese Frau Bergman sei.
Rossellini bereitete damals einen Film mit seiner Lebensgefährtin Anna Magnani vor. „Stromboli“ sollte auf der gleichnamigen Vulkaninsel gut achtzig Kilometer nördlich von Sizilien gedreht werden. Er ließ den Hollywood-Star einfliegen, verliebte sich Hals über Kopf und bot ihr die Magnani zugedachte Hauptrolle an. Bergman akzeptierte, verließ ihren Ehemann und übersiedelte nach Italien. Und Anna Magnani? Die wollte sich rächen. Zusammen mit dem Hollywood-Veteranen William Dieterle begann sie auf Vulcano, nur wenige Kilometer von Stromboli entfernt, ihren eigenen Vulkanfilm zu drehen. „Stromboli“ und „Vulcano“ entstanden somit beinahe zeitgleich, und auch die Geschichten, die sie erzählen, ähneln einander. In beiden Filmen geht es um eine Frau, die in das starre Gefüge einer weltabgewandten Inselgemeinschaft einbricht. Beide Filme lassen sich als lehrstückhafte Gleichnisse zum Thema Fremdheit lesen. Und beide Filme zeigen eine Natur, die den Menschen lediglich duldet und sich nicht von ihm beherrschen lässt.
„Stromboli“ und „Vulcano“ waren die ersten Filme, die auf den Liparischen Inseln, jener nur schwer zugänglichen Inselgruppe im Tyrrhenischen Meer gedreht wurden. Davor waren die Inseln am Rande der Geschichte hauptsächlich als Gefängnisse verschrien. Vor allem in der Zeit des Faschismus wurden Regimekritiker dorthin verbannt. Mit Rossellini, Bergman und Magnani wurden sie zu einer der beliebtesten Kulissen des italienischen Kinos. Beinahe alle großen Regisseure der Cinecittà haben hier gedreht. 1960 ließ Michelangelo Antonioni die Protagonistin von „L‘Avventura“ auf den steinigen Klippen von Lipari verschwinden. 1984 fügten die Brüder Vittorio und Paolo Taviani auf Salina mehrere Novellen von Luigi Pirandello zu ihrem Film „Kaos“ zusammen. Zehn Jahre später suchte Nanni Morretti die Inseln für seinen Film „Caro Diario“ auf und kurz darauf begann Michael Radford auf Salina „Il Postino“ zu drehen, der 1994 für den Oscar in der Kategorie „Bester Film“ nominiert wurde.
Giovanna Tavianis Dokumentarfilm „Fughe e Approdi“, der am kommenden Dienstag im Leokino das 21. Internationale Film Festival Innsbruck eröffnet, zeichnet die Geschichte der Liparischen Inseln und der Filme, die dort gedreht wurden, nach. Außerdem ist der Film der Auftakt für eine den dort gedrehten Filmen gewidmete Retrospektive.