Das Glück kam erst später
Sechs Menschen sind heuer am Mount Everest ums Leben gekommen. Der Innsbrucker Josef Einwaller hörte auf die Innsbrucker ZAMG-Meteorologen – und kehrte heil zurück.
Von Irene Rapp
Innsbruck –20. Mai, Mount Everest: Am höchsten Berg der Welt geht ein stürmischer Wind. Dazu kommen Hunderte Bergsteiger, die auf den 8850 Meter hohen Gipfel wollen. Bei der Hillary Step – einer 70 Meter hohen Felsstufe – kommt es zum verhängnisvollen Stau. „Diese Stelle können die Bergsteiger nur einzeln passieren“, nennt der Innsbrucker Josef Einwaller den Grund. Doch warten in derart eisigen Höhen kann den Tod bedeuten. Vier Menschen starben allein an diesem Tag am Everest. Zwei weitere in den folgenden Tagen. Nicht zu vergessen fünf Sherpas, die bei den Arbeiten am Khumbu Eisfall tödlich verunglücken.
Auch Einwaller wollte am 20. Mai auf den Gipfel. Dann jedoch entschied er sich anders. „Ich stand ständig in Kontakt mit den Meteorologen der Wetterdienststelle in Innsbruck“, sagt der 64-Jährige. Die Experten der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) rieten ihm davon ab, am 20. Mai auf den Everest zu gehen. „Als einziger Bergsteiger bin ich im Basecamp zurückgeblieben, Hunderte sind losgezogen.“ Die Folgen sind bekannt.
Eine Woche später, am 26. Mai, wagte sich dann der Innsbrucker Geschäftsmann an den Gipfel. Dreimal war er bereits in den vergangenen Jahren am Everest gewesen, dreimal musste er ohne Gipfel heimkehren. Doch diesmal hatte Einwaller Glück. Um 7 Uhr stand er am höchsten Punkt der Welt. Doch das Glücksgefühl, das er dort zu haben glaubte, stellte sich nicht ein. „Wir waren rund 20 Leute am Gipfel. Da hat man schon aufpassen müssen, dass keiner hinunterfällt. Und ich wusste, dass der Berg erst geschafft ist, wenn wir wieder im Basislager sind.“
Noch viel schlimmer waren jedoch die Szenen beim Auf- und Abstieg. Denn Einwaller kam an den toten Bergsteigern vorbei, die es eine Woche zuvor nicht geschafft hatten. Und die dort lagen, als ob sie schlafen würden. „Es ist unvorstellbar“, erzählt der Innsbrucker. Doch er hat es bei seinen vielen Aufenthalten im Himalaya oft genug erlebt: Dass nämlich die Warnungen der Sherpas von den Bergsteigern häufig ignoriert werden. Dass Letztere einfach weitergehen, weil der Gipfel doch in greifbarer Nähe ist. Und die dann ihren Herzenswunsch mit dem Leben bezahlen.
Nicht umsonst fordern viele schon eine Reglementierung der Bergsteiger auf den Everest. Doch für jeden Bergsteiger, der hinauf will, kassiert die nepalesische Regierung 10.000 Dollar. „Und darauf wird sie sicher nicht verzichten“, sagt Einwaller.
Eine andere Idee kommt von Gerlinde Kaltenbrunner, dem ersten Mensch in Österreich, der alle 14 Achttausender bestiegen hat. Einwaller hat sie in den vergangenen Tagen getroffen. „Sie hat vorgeschlagen, dass jeder Bergsteiger, der auf den Everest will, einen anderen bestiegenen Achttausender vorweisen muss. Damit er Erfahrung für den höchsten Berg der Welt mitbringt“, erzählt der Innsbrucker.
Einwaller selbst war z. B. schon auf dem Cho Oyu (8188 Meter) und anderen Bergen im Himalaya. Seit 20 Jahren ist er in Nepal unterwegs, hat dort Sherpa-Freunde, die er auch unterstützt. Mit Phurba Tundu etwa war er auf dem Pumori, einem Siebentausender an der Grenze zwischen Nepal und China. Eine Lawine riss den Sherpa jedoch in den Tod. Für seine Witwe und seine Kinder hat der Innsbrucker ein Haus in Kathmandu bauen lassen, damit die Familie versorgt ist.
Mit Phurba Tenzing und Pasang Sherpa war Einwaller diesmal am Everest unterwegs. Zwei Freunde, wie er sie nennt. Und natürlich haben sie darüber gesprochen, wie man sich im Ernstfall verhalten würde. Wie es wäre, wenn man in der so genannten Todeszone über 8000 Meter an einem Sterbenden vorbeigehen würde. „Man würde versuchen zu helfen“, erzählt der Innsbrucker. Denn dass weitere Menschen am Everest sterben werden, ist klar. „Jeder will auf den höchsten Berg der Welt. Auch solche, die eigentlich gar nicht hinaufgehören.“ Seit Donnerstag ist Einwaller wieder in Tirol. Und inzwischen hat sich auch das Glücksgefühl eingestellt. Vor allem das Glücksgefühl darüber, wieder heil in der Heimat angekommen zu sein.