Zwischen Alltagsrassismus und offenen Türen in Tirol
Migration, Integration und eine andauernde Diskussion. Doch wie lebt es sich als Migrant in Tirol? Was würden Betroffene verbessern?
Innsbruck –Vier Männer, vier Geschichten, eine Gemeinsamkeit: Sie sind Ausländer. Ein Blick durch Tirol zeigt, wie Menschen mit anderer Herkunft Karriere machen können, dass es viele Probleme im Miteinander gibt und dass die Migranten zuversichtlich für die Zukunft sind.
Der 23-jährige Architekturstudent Ramazan Kires aus Schönwies weiß zwei Lebenswelten, jene der Türkei und jene von Österreich, zu vereinen. Dass es allerdings für ihn, der als Zehnjähriger nach Österreich kam, sehr schwer war, sich zu behaupten, muss Ramazan offen eingestehen. Die ersten Wochen an der Schule ohne ein Wort Deutsch „waren einfach schlimm“. Doch von 80 Prozent der Lehrer habe er sehr viel Unterstützung erfahren, ganz im Gegensatz zur HTL, wo es auch offene Ablehnung von Lehrpersonen gegeben haben soll. Die Nähe zu türkischstämmigen Mitschülern habe er nie besonders gesucht, denn Deutsch konnte er, wie er sagt, von diesen nicht lernen und auch ihr Türkisch war nicht wirklich gut. Aber: „Freundschaften mit Österreichern zu schließen, war anfangs sehr schwer.“
Mit Rassismus war und ist er immer wieder konfrontiert. „Ich spreche bei Bedarf den breitesten Tiroler Dialekt. Das funktioniert bei Telefongesprächen bestens. Bei direkten Begegnungen erschrecken dann die Leute oft und ihre Mimik verrät alles“, sagt Kires.
Ein großes Problem im Bereich der Integration sieht Kires in der mangelnden Weltoffenheit und Wissen um andere Kulturen sowie in den mangelnden Sprachkenntnissen seiner türkischstämmigen Landsleute. „Viele von uns können nicht einmal richtig Türkisch, da gilt es anzusetzen.“ Es könne aber auch nicht sein, dass jemand, der bei einem Fest kein Bier trinkt und kein Schweinefleisch isst, ausgeschlossen wird.
Es fehle an Bildung. „Nur die garantiert Weltoffenheit, gegenseitiges Verständnis und den herzlichen Umgang miteinander. “ An diesen Defiziten hätten beide Seiten zu arbeiten.
Ortswechsel. Er habe eine bevorzugte Stellung – schon wegen seines Berufs. „Als Priester werde ich überall akzeptiert.“ Und dunkelhäutige Pfarrer gebe es in Osttirol (er selbst leitet die Pfarre in Ober- und Untertilliach) nunmal nicht sehr viele, schmunzelt Vincent Ohindo Lompema (54). Er stammt aus der Republik Kongo und kam 1996 als Priester nach Tirol. Es sei kein schlechtes Pflaster für Migranten, meint Ohindo. „Von Dorf zu Dorf ist das ein bisschen unterschiedlich. Zu Anfang bleibt man auf Distanz, wenn man jemanden nicht kennt. Man muss diejenigen erst näher betrachten und Vertrauen finden.“ Der afrikanische Seelsorger plädiert für mehr Sensibilität, um die Situation in puncto Migranten zu verbessern. Mit Alltagsrassismus sei er bisher nie konfrontiert worden. Freunde von ihm aber schon.
Ähnlich geht es Vinko Perkunic, der 1990 das erste Mal aus Bosnien nach Kufstein kam, um hier zu arbeiten. Startschwierigkeiten gab es vor allem wegen der Sprache. „Ich lernte zwar Deutsch in der Schule, aber durch den Dialekt hatte ich sehr viele Schwierigkeiten“, erzählt er. Nach sechs Jahren im Gastgewerbe wechselte Perkunic in eine Firma für Siebdruckmaschinen. „Es gibt einige Leute in Kufstein, die sich für mich eingesetzt haben, das habe ich nicht erwartet“, freut sich der Kroate. Mit Rassismus und Ablehnung sei er in all den Jahren, in denen er in Tirol lebt, nie konfrontiert gewesen. „Ich kann nur Gutes sagen. Und wenn wirklich etwas Negatives war, dann habe ich es vergessen“, sagt der zweifache Familienvater. Am Arbeitsplatz arbeitete sich Perkunic hinauf – bis zum Abteilungsleiter. Seine Familie fühle sich in Kufstein zuhause. „Wir wollen hier bleiben. Meine Söhne fühlen sich als Österreicher. Manchmal fühlen wir uns in Bosnien oder Kroatien wie Ausländer“, sagt er abschließend.
Exotische Klänge und türkische Lieder ertönten kürzlich in einem Landecker Restaurant. Hüseyin Kilic lud seine in- und ausländischen Freunde zu einer Feier: Der Jurist hatte die Anwaltsprüfung geschafft, jetzt betreibt er eine eigene Kanzlei in der Bezirksstadt. Aufgewachsen ist Kilic in einem Dorf in der osttürkischen Provinz Mus. Ein Landsmann, der seine Zelte in Imst aufgeschlagen hatte, gab ihm Anfang der 80er Jahre den Tipp, nach Tirol zu kommen. „Ich habe es nicht bereut, auch wenn der Start mühsam war“, schildert er. Zunächst verdiente er sein Geld als Fahrschullehrer, nebenbei studierte er Jus an der Uni Innsbruck.
„Als Migrant bin ich von Behörden wiederholt benachteiligt und schikaniert worden“, resümiert der zweifache Familienvater, „da könnte ich jetzt vieles erzählen, will ich aber nicht.“ Auch seine Gattin habe rassistische Vorurteile einstecken müssen. Jedenfalls habe er sich „gegen Unrecht im Rechtsstaat Österreich“ stets gewehrt, auch auf dem Rechtsweg. Zur Lage der Migranten stellt Kilic fest: „In den 80er Jahren war es verpönt und verboten, dass Tiroler Mädchen mit türkischen Burschen ausgehen. Inzwischen ist das ziemlich normal. Das ist für mich ein sehr positives Zeichen der Veränderung.“
Tirol schätzt er grundsätzlich als gutes Pflaster für Migranten ein. Seinen Erfolg und sein Lebensmotto bringt er so auf den Punkt: „Man muss unendlich sein wie ein Edelstahl sowie geduldig und standhaft wie ein Diamant.“
Gesetzliche Verordnungen allein würden bei der Integration nicht funktionieren. Dies sei eine Daueraufgabe, die schon „im Kindergarten und in der Schule beginnen muss“. (hau, co, saku, hwe)