"Früher wäre ich zum Tode verurteilt worden"
TT-Korrespondent Bernhard Bartsch hat den regimekritischen chinesischen Künstler Ai Weiwei in seinem Pekinger Studio zum Interview getroffen.
Peking –Ai Weiwei lebt idyllisch. Im Garten seines Wohnstudios im Norden Pekings sprießen Bambus und Kiefern. Dichtes Efeu rankt die Hauswände empor. Ein Dutzend Katzen und mehrere Hunde tollen über den Rasen. Ai Weiwei sitzt in der Morgensonne und isst Kirschen. Die Kerne landen in einem Aschenbecher, der die Form des Pekinger Olympiastadions hat. Ein Spucknapf mit Symbolwert: Vor zehn Jahren wurde Ai durch seine Mitarbeit am Design des „Vogelnests“ weltberühmt und zu einem der bestverkauften chinesischen Künstler. Doch noch vor den Olympischen Spielen 2008 distanzierte er sich von dem Projekt, weil er das Sportfest als geschmacklose Machtdemonstration der Kommunistischen Partei sah. Seitdem gilt er als Chinas prominentester und mutigster Regimekritiker.
Jahrelang organisierte Ai im Internet spektakuläre Protestaktionen gegen Korruption und Machtwillkür – bis er am 3. April 2011 am Pekinger Flughafen festgenommen wurde. Chinas Behörden warfen ihm Steuerhinterziehung vor, doch internationale Regierungen und Menschenrechtsorganisationen sahen darin nur einen Vorwand, mit dem die Partei ihre wortmächtigsten Herausforderer mundtot machen will. Die Festnahme löste einen Sturm der Entrüstung aus. Nach 81 Tagen ließen die Behörden Ai unter Auflagen nach Hause zurückkehren. Ein Jahr lang darf er Peking nicht verlassen und so gut wie nicht in der Öffentlichkeit auftreten. Seitdem hält er sich mit Internetaktivitäten weitgehend zurück und gibt fast keine Interviews. Für die TT machte er eine Ausnahme.
Am 15. Juni kommt der Dokumentarfilm „Never Sorry“ über Ihr Leben in die österreichischen Kinos. Kein Bedauern – ist das in Ihrem Leben Wunsch oder Realität?
Ai Weiwei: „Never Sorry“ ist meine Grundeinstellung. Der Titel hat natürlich eine Geschichte. 2009 habe ich in München eine Ausstellung mit dem Titel „So Sorry“ gemacht. Der Name bezog sich auf die faulen Entschuldigungen, die wir so häufig von Politikern und Beamten hören. Wer „Tut mir leid“ sagt, versucht sich damit oft aus der Verantwortung zu stehlen. Ich versuche, das Gegenteil zu leben: Verantwortung und Engagement.
Ihre Festnahme vor einem Jahr war für Sie und Ihre Familie ein schwerer Schlag. Haben Sie nie bereut, mit Ihren politischen Aktivitäten so stark in die Öffentlichkeit getreten zu sein?
Ai: Natürlich gibt es Dinge, die ich bedauere, aber bereuen tue ich das nicht. In meiner Kindheit habe ich erlebt, wie schwierig das Leben für die Generation meines Vaters war, für Intellektuelle und jeden unabhängigen Geist. Damals wäre ich für meine Aktionen vielfach zum Tode verurteilt worden, das ist kein Witz. Gemessen daran leben wir heute durchaus in einer liberaleren Zeit.
Trotzdem hat die Partei versucht, Sie mundtot zu machen. Seit Ihrer Freilassung können Sie sich kaum in der Öffentlichkeit äußern.
Ai: Ja, ich muss kürzertreten. Ich äußere mich zwar immer noch im Internet und gebe das eine oder andere Interview, aber viel weniger als früher. Außerdem darf ich nicht reisen. Also bleibe ich meistens zuhause. Ich gehe höchstens in den Park, um ein bisschen Bewegung zu bekommen.
Die eine oder andere kritische Aktion können Sie sich aber dennoch nicht verkneifen. Zum Jahrestag Ihrer Verhaftung haben Sie in Ihrem Studio Überwachungskameras angebracht und die Bilder ins Internet gestellt – eine offene Anspielung auf staatliche Kontrolle?
Ai: Die Idee drängte sich auf, weil ich ja ständig überwacht werde. Rund um mein Haus sind 15 Kameras installiert. Jeder, der hier rein- oder rausgeht, wird identifiziert. Im Gefängnis waren in meiner Zelle drei Kameras. Während meine Familie nicht wusste, wo ich bin und wie es mir geht, konnten die Beamten mich jede Sekunde beobachten. Als Erinnerung daran habe ich dann am Jahrestag meiner Festnahme selbst Kameras aufgebaut: in meinem Schlafzimmer, im Büro, auch hier im Garten. Jeder, der sich für mich interessiert, sollte sehen können, was ich so mache. Im Internet haben sich das innerhalb von 47 Stunden 5,2 Millionen Menschen angeschaut. Schließlich haben die Behörden es nicht mehr ausgehalten und mir gesagt: Bitte schalte das ab. Das habe ich dann auch gemacht.
Früher wäre das für Sie sicher undenkbar gewesen, da hätten Sie doch dafür gekämpft, dass Sie in Ihrem eigenen Haus tun und lassen können, was Sie wollen.
Ai: Stimmt, früher hätte ich darauf bestanden.
Die Zeit der offenen Konfrontation ist also vorbei?
Ai: Ich denke, ich habe kommuniziert, was ich kommunizieren wollte. Dass ich damit nicht die Welt verändere, ist mir klar. Aber als chinesischer Staatsbürger muss ich mich an die hier geltenden Regeln halten. Die Polizei ist sehr mächtig, das hat sie ja unter Beweis gestellt. Ich habe keine andere Wahl, als ihre Anweisungen zu befolgen. Aber ich lerne aus diesen Schwierigkeiten und entwickle dadurch eine neue Denkweise, eine neue Art der Kommunikation.
Wie sieht die aus?
Ai: Neulich habe ich zum Beispiel die Polizisten eingeladen, ob sie nicht bei mir im Büro arbeiten wollen. Ich habe ihnen gesagt: „Dass ihr mich ständig ausspioniert, ist völlig ineffizient. So bekommt ihr doch gar nicht all die Informationen, die ihr wollt, oder ihr zieht daraus die falschen Schlüsse. Also zieht doch bei mir ein. Ihr könnt bei mir wohnen und im Büro neben mir sitzen. Ich mache meine Arbeit und ihr eure. Dann könnt ihr genau beobachten, was ich tue und wer ich bin. Und wenn ich eines Tages wieder reisen darf, dürft ihr mich auch gerne begleiten, als meine Assistenten, und auf mein Benehmen aufpassen.“ Aber natürlich haben sie meine Einladung nicht angenommen.
Was würden die Polizisten denn sehen, wenn sie bei Ihnen einziehen würden?
Ai: Wir bereiten gerade eine große Ausstellung in Washington D.C. vor. Das wird eine Werkschau mit alten und neuen Werken. Wir haben aber auch noch andere Projekte: Ausstellungen, Bücher und Filme.
Kurz nach Ihrer Festnahme hat die Berliner Akademie der Künste Sie demonstrativ als Gastprofessor eingeladen. Wann werden Sie den Lehrauftrag erfüllen können?
Ai: Die einjährige Bewährungszeit, die mir die Behörden nach meiner Entlassung auferlegt haben, endet am 22. Juni. Wenn ich dann eine Reiseerlaubnis bekomme, könnte ich Ende des Jahres nach Deutschland fliegen.
Wollen Sie dann tatsächlich ein ganzes Semester in Berlin verbringen?
Ai: So lange werde ich wohl leider nicht bleiben können, aber ich werde mit der Akademie natürlich darüber reden, was ich in Berlin machen kann.
Was wollen Sie denn unterrichten?
Ai: Eigentlich will ich selbst von den Studenten etwas lernen. Ich weiß ehrlich gesagt noch gar nicht, was die Akademie von mir erwartet, aber sie werden sich bei der Einladung schon etwas gedacht haben.
Wie optimistisch sind Sie für Chinas Zukunft?
Ai: Sehr optimistisch! Chinas Generation, die in den Achtzigern und Neunzigern aufgewachsen ist, lebt in einer ganz anderen Welt. Das Internet hat sie in vieler Hinsicht befreit und immer mehr Menschen studieren im Ausland. Das wird China verändern.
Wie geht es für Sie persönlich weiter? Ihr Verfahren wegen angeblicher Steuerhinterziehung ist noch immer nicht abgeschlossen.
Ai: Ich habe jetzt meinerseits das Pekinger Steueramt verklagt und das Gericht hat den Fall auch angenommen. Wir warten jetzt auf den Verhandlungstermin. Womöglich wird das Gericht uns nie Recht geben. Aber die Öffentlichkeit wird ihr eigenes Urteil fällen.
Das Gespräch führte Bernhard Bartsch