Bühne

Zwischen Politik und Poesie

Das Internationale Film Festival Innsbruck ehrt die argentinisch-deutsche Filmemacherin Jeanine Meerapfel heute für ihr Lebenswerk.

Innsbruck –„Wenn es Hitler nicht gegeben hätte, wäre ich ein deutsch-jüdisches Kind geworden, mehr deutsch als jüdisch, geboren in einem kleinen süddeutschen Dorf.“ Mit diesem Satz beginnt Jeanine­ Meerapfels Dokumentarfilm „Im Land meiner Eltern“. Der Film, eine schonungslose Selbstbefragung, die das Persönliche, die Suche nach der eigenen Identität, mit dem Allgemeinen, der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit, in Verbindung setzt, entstand Anfang der 80er-Jahre. Damals lebte und arbeitete die 1943 in Buenos Aires geborene Meerapfel bereits gut 20 Jahre in Deutschland.

Warum sie das Filmemachen ausgerechnet in Deutschland, dem Land, aus dem ihre Eltern von den Nazis vertrieben wurden, erlernen wollte, kann sie sich auch heute noch nicht erklären. „Ich war jung und wollte­ von zu Hause weg“, sagt sie im Gespräch mit der TT. „Es mag mit meinem Vater zu tun haben. Er wollte sicher nicht, dass ich nach Deutschland gehe. Also bin ich erst recht nach Ulm gegangen.“ Dort, an der Hochschule für Gestaltung, hat sie bei Edgar Reitz und Alexander Kluge studiert. „Wobei uns dort weniger das Handwerk des Filmemachens beigebracht wurde, als unser eigenes Verhältnis zur Welt auszuloten und vieles, auch das vermeintlich Unerschütterliche, infrage zu stellen“, erinnert sich Meerapfel. Ihren ersten Kinofilm – „Malou“ mit Ingrid Caven – realisierte sie allerdings erst zwölf Jahre nach ihrem Abschluss. „Davor“, sagt sie heute, „war ich nicht bereit. Ich musste mir davor über einiges klar werden.“ „Malou“ wurde ein Erfolg, er erhielt Auszeichnungen in Cannes, San Sebastián und Chicago, die Filmkritik feierte ihn und renommierte Kollegen zogen den Hut. „‚Fassbinder hat der Film sehr gefallen. Immer, wenn wir uns getroffen haben, hat er gerufen: ‚Die Meerapfel, das ist eine von uns!‘“

Schon in ihrem Erstling zeichnet sich viel ab, was die Filme auch in der Folge prägen sollte. In Meerapfels Filmen, egal ob sie dokumentarisch oder mit den Mitteln des Spielfilms arbeitet, verbindet sich der historische Kontext mit indi­viduellen Lebensläufen­, explizit politisches Engagement mit der stillen Poesie des Alltags. Kurz: In ihren Filmen­ spiegelt sich die große Geschichte in den kleinen Geschichten ihrer­ Protagonisten. Nachdem ihr Film „Die Verliebten“ bei der Berlinale 1988 auf – gelinde gesagt – wenig Gegenliebe stieß, wandte sich Meerapfel immer stärker ihrem Geburtsland Argen­tinien zu. Mit „La Amiga“ (der für Argentinien in das Rennen­ um die Oscars ging) und dem Dokumentarfilm „Desembarcos“ setzt sie den Frauen der Plaza de Mayo­, die einem mörderischen Unrechtsregime beherzt die Stirn boten, ein Denkmal. Und in „Amigomío“, der ebenfalls in der Zeit der argen­tinischen Militärdiktatur­ spielt, verbindet sie diesen politischen­ Hintergrund und die vom magischen Realismus geprägte Bildsprache zu einem berührenden Road­movie. Das Internationales Film Festival Innsbruck (IFFI­) ehrt Jeanine Meerapfel, die mit ihren Filmen schon mehrfach in Tirol zu Gast war, heute für ihr Lebens­werk. (jole)