Astlöcher sind als Ornament genug

Die bäuerliche Tiroler Stube ist eine Erfolgsgeschichte mit mehrhundertjähriger Tradition. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts haben Architekten wie Clemens Holzmeister, Franz Baumann und Wilhelm Nicolaus Prachensky mit Erfolg deren bürgerliche Neuinterpretation versucht.

Von Edith Schlocker

In den Zwanziger- und Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die gute alte bäuerliche Stube in Tirol salonfähig. Denn während die, die in puncto Geschmack am Puls der Zeit sein wollten, anderswo ihre altdeutschen oder biedermeierlichen Sitzgelegenheit durch solche aus leichtem Stahlrohr ersetzten, ging Tirol einen interessanten Sonderweg.

Fingen doch Architekten wie Clemens Holzmeister, Franz Baumann oder Lois Welzenbacher an, nicht nur architektonisch, sondern auch in Sachen Interieur eine ganz spezifische regionale Moderne zu entwickeln. Für Holzmeister ging es dabei um „schlichte Größe, stilles Heldentum“, nicht zuletzt inspiriert von der Monumentalität, die die Malerei eines Albin Egger-Lienz durchpulste.

Wie diese in den Zwanziger- und Dreißigerjahren von den besten Tiroler Architekten für bürgerliche Salons, Gaststuben und Hotellobbys entworfenen Stuben einer neuen Art ausschauen, führt eine Ausstellung im Innsbrucker Archiv für Baukunst vor. Da findet sich etwa einer der schweren, aus naturbelassenem Vollholz gemachten Stühle, mit denen Franz Baumann 1929 das Restaurant der von ihm gebauten Mittelstation Seegrube der Innsbrucker Nordkettenbahn möbliert hat. Als Teil einer „Stube“ für sehr viele Menschen.

Baumann hat aber auch für zahlreiche bürgerliche Haushalte Stuben maßgeschneidert. Die ganz den tradierten Strukturen folgen, wie ein ebenfalls in der Schau aufgestelltes Beispiel vorführt. Da gibt es etwa die gute alte Eckbank samt großem Tisch unter dem Herrgottswinkel. Bei dem – wie ein Foto zeigt – in den späten Dreißigerjahren aber nicht selten das Kruzifix durch ein Hakenkreuz ersetzt ist. Aber das ist eine andere Geschichte. Die Ofenbank mutiert in der Baumann-Stube oft zum Bett, an dem ein Schreibtisch oder ein Schrank angebaut ist. Formal wird auf jegliches Ornament verzichtet, die Astlöcher müssen als Schmuck genügen.

1930 zeigte Wilhelm Nicolaus Prachensky in Innsbruck in der Ausstellung „Tiroler Kunsthandwerk“ die im Großen und Ganzen noch heute bestehende Ausstattung des Gasthofs Weißes Rössl in Gries am Brenner. Besonders den robusten Stuhl mit seiner charakteristisch geschwungenen Lehne variierte Prachen­sky in den folgenden Jahren immer wieder, um zum absoluten Bestseller in diesem Sujet zu werden – immer in rohem Holz. Der in der Schau vorgeführte orange lackierte Stuhl verdankt seine Farbigkeit einem späteren Anstrich durch Prachenskys Sohn Hubert.

Im touristischen Boom der Zwanzigerjahre war Clemens Holzmeister als Entwerfer exklusiver Hotels sehr gefragt. Maßstäbe gesetzt hat er mit dem Hotel Post in St. Anton, dessen Lobby er mit repräsentativen Sitzmöbeln ausgestattet hat. Mit einem bäuerlichen Stubenmöbel haben diese allerdings nichts mehr zu tun. Diese Sitzmaschinen kommen monumental daher, sie sind bequem gepolstert, die Sitz- bzw. Liegeposition individuell einstellbar. Noch viel weiter vom Bäuerlichen entfernt sich Lois Welzenbacher in seinen Entwürfen. Ist seine formale Orientierung an der Klassischen Moderne unübersehbar. Weit mehr als bei seinen Kollegen Siegfried Mazagg oder Wilhelm Stigler.

Aber auch die Polstersessel, die Franz Baumann 1937 für den Wohnraum des Innsbrucker Gutshofs Tollinger kreiert hat, haben mit bäuerlichen Vorbildern nichts mehr am Hut. Ihre Formen sind elegant gerundet, die Sitzflächen und Rückenlehnen bequem gepolstert. Allein die hölzernen Beine erinnern noch vage an seine wuchtigen, für Gaststuben entwickelten Stühle.

Gottlob haben sich einige der von Baumann, Holzmeister, Prachensky und Co. eingerichteten Gaststuben und Hotellobbys bis heute erhalten, um zu demonstrieren, wie eine kreative Neuinterpretation von Traditionellem daherkommen kann. Und die in so krassem Gegensatz zu dessen sinnentleerter Karikatur steht, wie sie in unzähligen Tiroler Hotels noch immer anzutreffen ist. Und dies, obwohl es durchaus stimmige Alternativen gäbe. Etwa die von Miki Martinek nach alten Vorbildern entwickelten Möbel, die doch ganz zeitgemäß sind. Oder die unübersehbar von Franz Baumann ins­pirierten Stühle, die Klaus Hackl entwirft.