Allergie gegen westliche Intervention
Jordaniens Ex-Premier Al-Khasawneh spricht sich im TT-Interview für eine regionale Lösung in Syrien aus, an der auch der Iran mitwirkt. Bis es so weit kommt, befürchtet er ein lange anhaltendes Blutvergießen.
Bisher haben alle Bemühungen versagt, die Gewalt in Syrien zu stoppen. Gibt es wirklich nichts, was die internationale Gemeinschaft tun kann?
Awn Shawkat Al-Khasawneh: Syrien war von Beginn an ein moralisches und politisches Dilemma. Auf der einen Seite sollte niemand die Brutalität des Regimes verteidigen. Ich bin nicht überzeugt von der Behauptung (des Regimes, Anm.), hinter der Gewalt stünden unsichtbare Gruppen. Es gibt viele Hinweise darauf, dass es sich um die Regierung oder die so genannte Shabiha-Miliz handelt.
Auf der anderen Seite habe ich eine starke Allergie gegen eine ausländische Intervention. Wann immer das im Nahen Osten passierte – und ich rede nicht nur von den jüngsten Beispielen im Irak und in Libyen –, dann ging es um völlig andere Ziele als jene, die öffentlich gemacht wurden.
Was kann und soll also in Syrien passieren?
Al-Khasawneh: Das Beste wäre eine Intervention von regionalen Mächten – von arabischen Ländern und der Türkei. Als jemand, der sich mit Geschichte beschäftigt, glaube ich, dass die Zeit auf der Seite der Menschen in Syrien ist. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Präsident Bashar Assad weiterregieren kann. Aber er ist auch nicht der alleinige Machthaber, die Dinge liegen viel komplizierter.
Dies (der Konflikt in Syrien, Anm.) wird sich wahrscheinlich länger hinziehen, als ich mir das wünsche. Das bedeutet mehr Leiden für die Menschen in Syrien und viel Blutvergießen. Es besteht immer die Möglichkeit, dass es eine plötzliche Spaltung (des Regimes, Anm.) gibt; es gibt Berichte von Leuten, die die Seiten wechseln oder in die Türkei oder nach Jordanien gehen. Aber die Lage ist jedenfalls keine, die Anlass zu Optimismus gibt.
An was für eine Art von Intervention durch arabische Länder und die Türkei denken Sie?
Al-Khasawneh: Ich denke an eine Intervention gemäß Kapitel 8 der UNO-Charta, das Regionen das Recht gibt, regionale Probleme zu lösen. Es wäre nicht richtig von mir zu versuchen, die Art der Intervention vorwegzunehmen.
In Syrien spielt sich auch ein Konflikt zwischen Schiiten mit dem Iran im Hintergrund und Sunniten mit arabischen Ländern im Hintergrund ab. Sollte also auch der Iran mit an Bord einer regionalen Lösung sein?
Al-Khasawneh: Es wäre sehr sinnvoll, wäre der Iran mit an Bord. Streng genommen gehört die Minderheit der Alawiten in Syrien (zu der auch der Assad-Clan gehört, Anm.) nicht zu den Schiiten im traditionellen Sinn. Aber der Iran war stets ein Verbündeter von Syrien, ich würde ihn nicht ausschließen.
Sollte es eines Tages zu einer regionalen Intervention kommen, was kann dann der Westen tun – oder sollte er sich heraushalten?
Al-Khasawneh: Das ist eine schwierige Frage. Was immer in Syrien passiert, hat große Auswirkungen auf die gesamte Welt – Europa eingeschlossen. Meine Hoffnung ist, dass diese Mächte eine unterstützende Rolle spielen und nicht selbst intervenieren. Eine militärische Intervention des Westens kommt ohnehin nicht in Betracht angesichts der Haltung von Russland und China im Weltsicherheitsrat. Idealerweise sollte also die Arabische Liga eine Rolle erhalten – zusammen mit der Türkei und dem Iran. Aber wir leben nicht in einer Welt der idealen Gedanken und ich sehe nicht viel Raum für Optimismus.
Sie gehen also davon aus, dass es schlimmer wird, bevor es besser wird?
Al-Khasawneh: In diesem Teil der Welt ist es niemals schwierig sich vorzustellen, wie es schlimmer werden kann. Aber am Ende wird es besser werden.
Es gibt die Sorge, dass die Gewalt in Syrien auch andere Länder erfasst. In Jordanien stellen palästinensische Flüchtlinge bereits die Hälfte der Bevölkerung, dazu kommen Flüchtlinge aus dem Irak und jetzt auch aus Syrien. Kann die Situation in Syrien auch Ihr Land destabilisieren?
Al-Khasawneh: Nicht im Sinn von Gewalt. Jordanien war in der Lage, drei Wellen von palästinensischen Flüchtlingen aufzunehmen. Und ich bezweifle, dass es einen Zustrom von Syrern gibt, die sehr lange bleiben. Wichtiger für Jordanien ist langfristig, dass wir mit dem zusammenarbeiten können, der Syrien regiert, wer auch immer es ist. Ich sehe kein irakisches Szenario. Jordanien ist mehr oder weniger stabil.
Könnten andere Länder wie beispielsweise der Libanon in den Konflikt in Syrien hineingezogen werden?
Al-Khasawneh: Das ist leicht möglich und sehr gefährlich. Der Libanon ist selbst schon ein explosives Land, die Leute sind bewaffnet. Ich glaube zwar nicht, dass eine Eskalation im Libanon unmittelbar bevorsteht, aber so genau kann man das nie wissen. Es kann alles passieren.
Die Gewalt in Syrien geht weiter und die Opposition ist gespalten. Wie kann die Zukunft aussehen, etwa nach einer regionalen Intervention?
Al-Khasawneh: Im Westen ist die Rolle von Al-Kaida und den Islamisten in Syrien übertrieben worden. Ich glaube nicht, dass Syrien für Al-Kaida zu einer Ausgangsbasis für Angriffe auf Europa wird.
Die Moslembrüder bilden die am besten organisierte Fraktion der syrischen Opposition. Sollte es faire Wahlen geben, wäre es sehr wahrscheinlich, dass sie an die Macht kommen. Aber die Furcht vor einer islamistischen Übernahme in Syrien sollte verworfen werden.
Das Interview führte Floo Weißmann