Natur

„Ärzte müssen für Medikamente immer mehr Zeit aufwenden!“

Gerhard Speer ist Herr über die größte Klinikapotheke Österreichs. Information und Beschaffung gestalten sich immer aufwendiger.

Innsbruck –Die Innsbrucker Klinikapotheke ist gemessen an der versorgten Bettenanzahl die größte Apotheke Österreichs. 3100 Medikamente lagern ständig. Allein an der Klinik werden für den Verbrauch jährlich 36 Millionen Euro aufgewendet. Direktor Gerhard Speer sieht außer Kostendisziplin jedoch viele andere Herausforderungen.

Immer häufiger werden Medikamente durch Generika ersetzt. Das scheint für Ärzte und Patienten unübersichtlich. Herrscht ein zu rigider Sparstift?

Natürlich tauschen wir bei massiven Kosteneinsparungen Bewährtes auch durch gleichwertige Generika aus. Das macht mengenmäßig jedoch kaum etwas aus. So mussten heuer bereits 80 Medikamente ersetzt werden – 70 davon waren einfach nicht mehr lieferbar. Aus ökonomischen Gründen werden jährlich nur 20 Präparate getauscht.

Wie kommen die Lieferprobleme bei Arzneimitteln zustande?

Auch die Pharmabranche ist globalisiert. Man muss wissen, dass heute vier von fünf Präparaten nicht mehr aus der EU und den USA stammen, sondern heute billig in China, Asien oder Indien hergestellt werden. Viele Medikamente müssen deshalb plötzlich wegen Qualitätsproblemen vom Markt genommen werden. Auch lebenswichtige Medikamente bleiben aus. Die Hersteller liefern einfach nicht und melden dies uns auch nicht.

Wird dadurch die Arbeit der Ärzte nicht auch wesentlich erschwert? Schließlich sind ja die Dosierungen teils unterschiedlich. Es wird über eine nicht mehr zu überblickende Informationsflut geklagt.

Der Arzt muss heute wirklich wesentlich mehr Zeit für das Medikamentenstudium aufwenden. Allein heuer haben wir schon 21 umfangreiche Rundschreiben herausgegeben. Dazu kommen noch die Schreiben des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (AGES).

Die Zeit dafür wird sich aber jeder Arzt wohl nehmen müssen.

Haben Sie seitens der Tilak auf die veränderte Situation reagiert? In einem Arzthaftungsprozess hieß es, dass aus Zeitmangel ohnehin kein Klinikarzt diese Schreiben mehr lesen könne.

Bei einem runden Tisch mit dem Tilak-Direktorium haben wir die Mailings stark verbessert und übersichtlicher gemacht. Alles ist bei uns auch sofort elektronisch abrufbar. Bei jedem Medikament findet sich ein Anhang, falls es durch ein anderes getauscht wurde. Seit sechs Wochen gibt es für Ärzte und Schwestern dies noch einmal als „News zu Präparate-Änderungen“ zusamengefasst.

Sehen Sie dadurch die richtige Medikamentenanwendung garantiert?

Wer sich diese Informationen mit einem Wochenaufwand von einer Viertelstunde durchliest, müsste eigentlich auf dem neuesten Stand sein. Gerade jetzt läuft auf der Klinik aber ein visionäres Pilotprojekt, wo dem Arzt schon die Krankengeschichte elektronisch vorliegt und das System bei Anforderung eines Medikaments automatisch auf das verfügbare Präparat mit entsprechender Dosierung zurückgreift.

Das Interview führte Reinhard Fellner