Wo all die Stretchlimousinen die Nacht verbringen
David Cronenberg spekuliert in seiner Kinoadaption von Don DeLillos „Cosmopolis“ mit der Blockbusteraktie Robert Pattinson.
Von Peter Angerer
Innsbruck –In Don DeLillos 2003 erschienenem Roman „Cosmopolis“ erwacht der Milliardär Eric Packer in seinem Wolkenkratzer-Penthouse, wirft einen Blick auf den East River, sieht „die aufbrüllende Sonne“, möchte einen Freund anrufen, den es nicht gibt. „Er wusste nicht, was er wollte. Dann wusste er es. Er wollte sich die Haare schneiden lassen.“ Kein schlechter Plan für einen ganzen Tag. Der endet für den reichen Mann in der übelsten Gegend von New York, denn der Friseurladen liegt wie Packers Herkunft in Hell‘s Kitchen.
Nach der Höllenfahrt durch die Straßen Manhattans ist der Börsenguru so arm wie in seiner Kindheit. Anarchisten demonstrieren gegen das Kapital, einer von ihnen verbrennt sich vor Packers Augen. Aber es ist ein ehemaliger Angestellter, den Packer nie bemerkt hat, der ihn erschießen wird. „Cosmopolis“ wurde vor zehn Jahren als futuristische Allegorie über den Börsenrausch der Neunziger und die Apokalypse vom 11. September 2001 gelesen.
In David Cronenbergs Kinoversion sitzt Eric Packer (Robert Pattinson) bereits im ersten Bild wie Captain Kirk in der Kommandozentrale seiner Stretchlimousine. Börsenkurse flirren über die Bildschirme. Dank Korkisolierung ist im Wageninneren kein Geräusch von außen zu hören, aber die Limo klebt ohnehin wie Sirup in der Park Avenue fest, da der Präsident („Was für ein Präsident?“, erkundigt sich Packer, der keine Hierarchie über sich duldet) gerade die Stadt besucht. Neben der Limousine wachen Bodyguards, hin und wieder liefert Sicherheitschef Torval (Kevin Durand) kryptische Einschätzungen der Wirklichkeit, von der sich Packer bereits Lichtjahre entfernt hat.
Für den Cyberkapitalisten gibt es nur noch die Cyberrealität, die sich auf beängstigende Weise gegen den Liebhaber von Zahlen und Symmetrie zu wenden beginnt. An Didi Fancher (Juliette Binoche), die in der Limousine schwitzend auf Packer arbeitet, erfreut ihn nur noch die Altersangabe, da die 41 eine – wenn auch nicht besonders charmante – Primzahl darstellt. Beim anschließenden Besuch seines Urologen enttäuscht ihn die Gleichgültigkeit der Geliebten während der rektalen Untersuchung. Erschreckender ist freilich die Diagnose. Seine asymmetrische Prostata begreift Packer als bedrohliche Metapher für den Niedergang seines Finanz- imperiums, das an diesem Tag zur Gänze an der Wette gegen den chinesischen Yuan hängt. Wegen seiner Liebe zur Symmetrie mussten in seinem Konzern auch zwei Lifte nur zu seiner persönlichen Verfügung eingebaut werden, wobei sich die Kabinen nur durch das Musikprogramm unterscheiden. Manche von Packers Eigenheiten sind schwer nachzuvollziehen, aber wir lernen ihn eben auch erst an seinem letzten Tag kennen.
Aber es ist ohnehin der Zweifel, der sich in Packers Glauben an die Schönheit und Wirklichkeit der Zahlen geschlichen hat. Seine Seele hat er längst verloren, mit dem Rest seines Verstandes möchte er zumindest noch eines der großen Rätsel von Manhattan lösen: „Wo verbringen all diese Stretchlimousinen die Nacht?“ Da wartet aber bereits mit Benno Levin (Paul Giamatti) der von seinem Chef niemals wahrgenommene Analyst mit einer Waffe. Es ist der letzte Akt jener Inszenierung, die Packer für sein theatralisches Ende vorgesehen hat.
Don DeLillos Roman lässt viele Lesarten zu und die ökonomischen Verhältnisse haben sich in den vergangenen Jahren verschärft, doch David Cronenberg verzichtet auf Wall-Street-Farce und Satire. Er erzählt die Tragödie eines jungen Königs auf seinem Thron. Das ist auch der einzige Bildwitz in „Cosmopolis“. Zu Robert Pattinson, diesem verführerischen Vampir-Darsteller, ließe sich noch sagen, dass er sich in seiner Mimik nicht von Michael Douglas als Gordon Gekko beeinflussen lässt.