Urlaub und stille Momente am Grab
Sie stehen nicht unbedingt in jedem Reiseführer, geben aber Auskunft über die Kultur, über Tradition, über Lebensstil einer Stadt oder eines Ortes. Friedhöfe in Urlaubsländern sind zumindest einen Abstecher wert. Natürlich nähert man sich diesem Reiseziel mit dem gebührenden Respekt.
Von Stefanie Kammerlander
Der Zeitpunkt lässt sich nicht mehr genau feststellen, der Auslöser hingegen schon. Irgendwann in den 80er-Jahren hatte ein Langlauf-Wochenende im Osttiroler Innervillgraten ungeahnte Folgen. Wer Villgraten sagt, meint auch Pius Walder. „Ich wurde am 6. September 1982 in Kalkstein von zwei Jägern aus der Nachbarschaft kaltblütig und gezielt beschossen und vom 8. Schuss tödlich in den Hinterkopf getroffen“, steht da in goldenen Lettern unter dem in Stein gehauenen Konterfei des vermutlichen Wilderers. Wann und wo bekommt man schon so ein Prachtexemplar von Grabstein zu Gesicht?
Kurz nach diesem einschneidenden Erlebnis sollte ein Ausflug nach Oberösterreich die Neugier auf Friedhöfe verstärken. Idyllisch liegt das kleine Bergdorf Frauenstein im Steyrtal. Postkartenmotiv der allerschönsten Sorte mit der winzigen Wallfahrtskirche oben auf dem Berg. Hinter der Kirche „Unserer lieben Frau am Stein“ liegt der Friedhof. Schöne, schmiedeeiserne Grabkreuze, dazwischen schlichte Grabsteine. Gräber, wie man sie in dieser Gegend vermuten kann. Aus den kleinen Grabinschriften ist nicht viel herauszulesen – nur die Lebenszeit, bei manchen der Beruf, der Tischlermeister, der Schlosser. Familie Kulenkampff ist hier begraben, Burli mit vier Jahren war der Erste, der hier seine letzte Ruhe gefunden hat. Gertraud und Hans Joachim folgten. Der große deutsche Moderator – nein, der größte – mit seiner bekannten Liebe zur Seefahrt liegt hier – mit Blick auf die Bergwelt.
Seither sind Ausflüge und Urlaub mit Friedhofsbesuchen verknüpft. Nein, keine Angst, die Urlaube werden nicht nach dem Zustand der Friedhöfe gebucht. Und auch die Frage nach der Lebensfreude lässt sich einfach beantworten – sie reicht für geschätzte zehn Personen. Keinerlei Sehnsucht nach dem Tod. Möglicherweise ein winziger Versuch, das Leben zu verstehen. Mit Sicherheit aber ein höchst interessanter Weg, eine Stadt oder einen Ort besser zu verstehen.
Mailand zum Beispiel: Ein Bummel durch den „Cimitero Monumentale“ spiegelt den Reichtum der Stadt wider, Bildhauer konnten im 1866 eröffneten Zentralfriedhof ihre Ideen verwirklichen. Für das Grabmal der Familie Campari etwa wurde da Vincis Abendmahl als Bronzeplastik geschaffen. Prunk und Pomp an allen Ecken und Enden – einfach sehenswert.
Bleiben wir noch kurz in Italien, in Venedig: Grund und Boden war naturgemäß knapp, deshalb finden die Toten auf der Insel San Michele, zwischen der Lagune Venedig und Murano, ihre letzte Ruhe. Eine blumige Ruhe. Denn im ersten Moment denkt man eher an eine Blumen- und Gartenschau als an einen Friedhof. Die einfachen Gräber sind stets mit Blumen geschmückt, alte Zypressen umrahmen das stimmige Bild.
Selbst in den kleinsten Orten Italiens lohnt sich ein Friedhofsbesuch – nicht nur die Soldatenfriedhöfe (z.B. in Salo). Denn oft liegt der Cimitero an einem besonders idyllischen Fleck und so gibt es noch großartige Aussicht als Draufgabe.
Anders hingegen das Bild in Prag: Noch heute, 20 Jahre danach, lässt sich dieses beklemmende Gefühl abrufen, das der Blick über den alten Jüdischen Friedhof ausgelöst hatte. Über die Jahrhunderte waren die Toten in Schichten begraben worden – auf einem Hektar haben 12.000 Grabsteine und vermutlich 100.000 Tote Platz gefunden.
Reisen wir weiter, in ein Land, das zwar derzeit nicht zu den empfohlenen Urlaubsdestinationen zählt – aber es kommen verlässlich wieder andere Zeiten. In der Hauptstadt von Ägypten, in Kairo, hat sich aus purer Platznot eine besondere Wohnkultur gebildet. Als „Stadt der Toten“ werden zwei ausgedehnte Friedhofsbezirke am Ostrand der Millionenstadt bezeichnet. Zehntausende Menschen wohnen auf dem Friedhof. Sie haben sich in den zum Teil prächtigen Bauten häuslich eingerichtet, die seinerzeit die Herrscher großer Dynastien errichten ließen. Den Friedhof zu besuchen, ist dennoch nicht ratsam. Gefahr geht nicht von den Toten aus, sondern von den Lebenden. Überfälle und Vergewaltigungen sollen nicht selten vorkommen. Der Ausflug auf diesen Friedhof war gestrichen – aber eine Taxifahrt entlang der Mauern vermittelte einen Hauch seltsamer Stimmung. Im dämmrigen Abendlicht war manches schwache Licht am Friedhof zu erspähen. Nein, diese Art von Friedhofsbesuch zählt zur abschreckenden Sorte.
„Es lebe der Zentralfriedhof“ und alle Friedhöfe, die eine Reise wert sind. Und die gibt es zur Genüge.