Neuer Ärztekammer-Präsident will Ländern Spitäler wegnehmen
„Wenn man im österreichischen Gesundheitssystem weiterkommen will, dann müsste man den Ländern die Krankenhäuser wegnehmen.“
Wien - Mit einer provokanten Forderung meldet sich der neue Ärztekammer-Präsident Artur Wechselberger in der Debatte um eine Gesundheitsreform zu Wort. Im APA-Interview schlägt Wechselberger vor, den Bundesländern die Verantwortung für die Spitäler zu entziehen. Gleichzeitig tritt er dafür ein, in einem flexibleren System die Sozialversicherungen zu stärken und den Versicherten die Möglichkeit zu geben, sich ihre gesetzliche Krankenkasse selbst auszusuchen. In Sachen elektronischer Gesundheitsakte (ELGA) will der neue Präsident im Gegensatz zu seinen Vorgängern „keine Fundamentalopposition“. Gleichzeitig stellt er aber klar, dass die Ärzte die Umsetzung verweigern würden, wenn die Politik das Projekt gegen die Ärztekammer durchziehen und nicht auf ihre Forderung nach einer praktikablen Lösung eingehen sollte.
„Wenn man im österreichischen Gesundheitssystem weiterkommen will, dann müsste man den Ländern die Krankenhäuser wegnehmen“, formulierte der aus Tirol kommende neue Ärztekammer-Präsident seine Idealvorstellung für eine Gesundheitsreform. Es könne nicht sein, dass die Länder gleichzeitig Gesetzgeber, Spitalsträger und Leistungsanbieter sind und dann auch noch am Finanzierungstopf sitzen. Für die niedergelassenen Ärzte könne nicht mehr viel an Ressourcen übrig bleiben, wenn sie sich auf der anderen Seite einem „so überstarken Partner“ gegenübersehen, meinte Wechselberger.
Stattdessen kann er sich eine Stärkung der Sozialversicherung vorstellen, die etwa als „Einkäufer“ auftreten könnte. Dazu müsste das System nach Ansicht Wechselbergers allerdings flexibler werden. Seiner Auffassung nach sollten sich die Versicherten ihre Sozialversicherung aussuchen können. Wenn also etwa ein Angestellter von der gewerblichen Sozialversicherung ein besseres Angebot hat, dann soll er vor der Gebietskrankenkasse dorthin wechseln können oder auch umgekehrt. Der Wechsel soll aber nur innerhalb der Sozialversicherung möglich sein und nicht zu privaten Versicherungen, weil diese ein Ausschluss von Versicherten oder von Vorerkrankungen vornehmen könnten.
Gegen Leistungsverschlechterungen ankämpfen
Die von Bund, Ländern und Sozialversicherung geschlossene Grundsatzvereinbarung für die Gesundheitsreform ist für Wechselberger nur „das übliche Gerangel um Geld und Geldflüsse“ vor Ablauf einer 15a-Vereinbarung über die Gesundheitsfinanzierung. Das vereinbarte virtuelle Budget zur Steuerung des Systems erinnert ihn an „Luftschlösser“ und die gemeinsame Steuerung des niedergelassenen Bereichs und der Spitäler habe man eigentlich schon 2005 mit den damaligen „Reformpools“ geschaffen. Diese Pools seien aber von den Ländern nie befüllt worden.
Dass die Ausgabensteigerungen künftig mit dem Wirtschaftswachstum begrenzt werden sollen, hält der neue Ärztekamme-Präsident für einen „eher primitiven Kompromiss“. Dies werde dazu führen, dass es für die Patienten entweder Einschränkungen bei den medizinischen Leistungen geben werde oder sie noch mehr selbst bezahlen müssen. Die Ärzte sieht Wechselberger dabei in einer „fürchterlichen Zwickmühle“. Wenn die Mittel knapp werden, komme es zu Rationierungen. Die Politik traue sich aber nicht, das zu sagen, sondern überlasse es dem Arzt, die Rationierung vorzunehmen. Dieser komme damit in ein „ethisches Dilemma“. Dem Arzt werde damit „die Grundlage seines Handelns“ entzogen“, weil dieses auf der ethischen Prämisse beruhe, alles für die Gesundheit seiner Patienten zu tun, argumentierte Wechselberger.
Der Ärzte-Chef will gegen Leistungsverschlechterungen ankämpfen und kündigt an, dass die Ärztekammer jedenfalls „nicht still sein“ werde, „wenn die Politik nicht auf uns hört“. Man werde die Patienten über essenzielle Fragen aufklären, sagte Wechselberger auch in Zusammenhang mit ELGA. In den Ordinationen und Ambulanzen werde man die Leute persönlich ansprechen. Wechselberger gilt zwar als ruhiger und zurückhaltender als sein Vorgänger Walter Dorner, er betont aber, auch „laut sein“ und seine Stimme erheben zu können, wenn es nötig sei, um gehört zu werden und mit seinen Argumenten Berücksichtigung zu finden.
Drohung mit ELGA-Boykott
Zur elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) - hat der neue Ärztekammer-Präsident Artur Wechselberger einen pragmatischeren Zugang als sein Vorgänger Walter Dorner und betont im APA-Interview: „Wir betreiben keine Fundamentalopposition.“ Eine Zustimmung seitens der Ärztekammer kann er sich vorstellen, wenn es die Arbeit der Ärzte erleichtert und nicht durch riesige Datenmengen mehr Zeit verschlingt. Wenn die Politik das System aber gegen den Willen der Ärzte durchsetzen wolle, dann würden es die Ärzte mit einem Boykott zu Fall bringen, droht Wechselberger.
Der neue Ärztekammer-Präsident verweist darauf, dass ELGA nur funktionieren werde, wenn es von den Ärzten umgesetzt wird. Wenn die Ärztekammer mit ihren Argumenten bei der Politik kein Gehör finden sollte, dann würden die Ärzte die Umsetzung „einfach verweigern“. Sie würden die Patienten informieren, wie man aus ELGA „hinausoptieren“ kann. ELGA würde damit das gleiche Schicksal erleiden wie ähnliche Systeme in England und Tschechien, die gescheitert sind.
Wechselberger sieht das Hauptproblem darin, „dass uns der Staat ein Arbeitsgerät aufoktroyieren will, von dem wir berechtigte Sorge haben, dass es mit Informationen vollgestopft ist“. Diese riesigen Datenmengen könne der Arzt nicht verarbeiten, sie führten zu „Desinformation“ und zu einem Zeitverlust bei der Arbeit. Der Ärzte-Chef wünscht sich daher in den ELGA-Kernkomponenten eine Suchfunktion, mit der der Arzt zielgerichtet und rasch zu den jeweils benötigten Informationen kommt. Gesundheitsminister Alois Stöger (S) habe aber im Gegensatz dazu das Ziel, dass der Patient Zugriff auf seine gesamten archivierten Gesundheitsdaten bekomme.
Rückzug aus Unternehmensberatungsfirma
Eine Chance auf eine Einigung sieht der Ärztekammer-Präsident nur, „wenn die Politik zumindest in diesem Punkt nachgibt“ und wenn die Datenschutzbestimmungen eingehalten werden. Wenn ein nutzbares Tool geschaffen werde, „das punktgenau die Bedürfnisse der Ärzte in ihrer täglichen Arbeit trifft“, dann könnten die Ärzte auch den Patienten empfehlen, freiwillig an ELGA teilzunehmen. Dann wäre auch „kein Zwang“ mehr nötig, meinte Wechselberger mit Blick auf die derzeit vorgesehene opting-out-Regelung, wonach jeder automatisch dabei ist, der sich nicht explizit abmeldet. Wenn ein benutzbares System kommt, das funktioniert und die Arbeit erleichtert, werde es von Ärzten und Patienten akzeptiert werden. Zudem hätte dies für die Ärzte den Vorteil, dass sie „aus der Haftungsfalle“ herauskämen, meinte der Präsident.
Die umstrittene Anti-ELGA-Kampagne der Wiener Ärztekammer verteidigt Wechselberger, weil damit ein Diskussionsprozess in Gang gesetzt und Bevölkerung sowie Politik sensibilisiert worden seien. Wie man die Aufmerksamkeit errege, sei „eine Geschmacksfrage“, sagte er zu den Inseraten mit Nackt-Bildern und dem mit Totengräber-Schaufel dargestellten Stöger, aber die Ziele seien jedenfalls erreicht worden.
Aus seiner Unternehmensberatungsfirma, die Fortbildungen für Sprechstundenhilfen anbietet, werde er sich zurückziehen, kündigte Wechselberger an. „Ich will unangreifbar sein als Präsident“ und das „sauber geregelt haben“. Er habe „nicht damit gerechnet, dass sich jemand daran stoßen könnte“, sagte Wechselberger. Den Vorwurf, seine Stellung in der Ärztekammer für Geschäfte der Firma ausgenutzt zu haben, weist er zurück. Die Geschäftspolitik sei nicht auf Gewinn ausgerichtet und der einzige Konnex zur Ärztekammer sei, dass die Kammer für solche Kurse über Praxisorganisation und -management, die auch seine Firma anbietet, Zertifikate verleiht. Trotzdem werde er sich aber aus dem Unternehmen zurückziehen.
Nachdem das Gesundheitsministerium als Aufsichtsbehörde die von der Ärztekammer installierten zwei Kammeramtsdirektoren als gesetzwidrig kritisiert hatte, hat die Kammer nun das Ressort ersucht, das Ärztegesetz zu ändern. Nach den bisherigen Gesprächen ist Wechselberger optimistisch, dass das Gesetz dahingehend adaptiert wird, zwei Direktoren zuzulassen. Seiner Auffassung nach sollte es der Kammer selbst überlassen bleiben, wie sie ihr Büro organisiert. (APA)