Sterne-Kost knapp unterm Himmel
Auf eine Hütte gehen und dort sehr, sehr gut essen: Am Wochenende wurde der „Kulinarische Jakobsweg“ im Paznauntal eröffnet – wobei so mancher der Starköche dabei so manchen Schweißtropfen vergossen hat.
Von Irene Rapp
See –Franky Van der Haeghe schwitzt. Und wie! Aber kein Wunder: Das erste Mal ist der Belgier zu Gast in Tirol und dann muss er gleich auf die Ascher Hütte oberhalb von See im Paznauntal wandern. Aber immerhin hat der Küchenchef des Restaurants „Hostellerie St. Nicolas“ im belgischen Elverdinge gutes Schuhwerk an.
Nicht so wie sein italienischer Berufskollege, der im Jahr zuvor mit handgefertigten und absolut berguntauglichen Mokassins auf eine andere Hütte im Paznauntal wanderte. Van der Haeghes Schuhe weisen ein gutes Profil auf. Somit heißt es nur noch, die für zwei Stunden anberaumte Wanderung auf die 2256 Meter hoch gelegene Hütte in einer halbwegs vertretbaren Zeit zurückzulegen.
„Ja ja, denen war sicher nicht zu 100 Prozent bewusst, was auf sie zukommt“, witzelt auf der Ascher Hütte indes einer, der aufgrund eines Knieproblems mit dem Auto heraufgefahren worden ist. Eckart Witzigmann, 1994 vom französischen Restaurantführer „Gault Millau“ zum Koch des Jahrhunderts gekürt – ein Titel, der vor ihm nur an drei andere Köche verliehen worden ist –, sitzt auf einer Bank und erzählt. Davon, wie vor einigen Jahren LH Günther Platter sowie der Ischgler Tourismusobmann Alfons Parth ihn gebeten hätten, sich doch mit dem Thema Hüttenkost zu beschäftigen.
Davon, wie er die Idee hatte, dass die besten Köche Europas sich ein Gericht für eine Hütte im Paznauntal überlegen sollten. Tja – und dann sei ihm der Name „Kulinarischer Jakobsweg“ dafür eingefallen. Und auch wenn jetzt Pilger des spanischen Jakobswegs den Kopf schütteln werden, hat man sofort ein Bild im Kopf. Gehen und essen – sehr gut essen, wie man auf der Ascher Hütte später noch erfahren wird.
Van der Haeghe indes schwitzt sich im Anmarsch auf die oberhalb von See gelegene Einkehr immer noch die Seele aus dem Leib. Daher plaudert Hüttenwirtin Heike Mayrhofer aus, was sich der belgische Zweisternekoch für ihr Haus einfallen hat lassen: Kalbsbäckchen mit Duchesse-Kartoffeln und Champignon-Speck-Ragout. „das wird eine Herausforderung, wir haben nämlich keinen Strom, ich muss auf Feuer kochen.“ Erst gestern hat sie ihren Gastkoch Van der Haeghe kennen gelernt. Heute wird er ihr noch Tipps geben, wie sein Gericht den Sommer über am besten zuzubereiten ist. Für Mayrhofer macht sich der „Kulinarische Jakobsweg“ jedenfalls bereits bezahlt. „Rund 30 bis 35 Prozent der Gäste kommen deswegen“, erzählt sie.
Das freut einen ganz besonders: Martin Sieberer, Paznauner Spitzenkoch von der „Paznauner Stube/Trofana Royal“ in Ischgl, betreut mit Witzigmann das Projekt, sucht u. a. mit ihm die Köche aus und kümmert sich darum, dass für die Speisen auf den Hütten nur beste regionale Zutaten verwendet werden. So haben sich durch den „Kulinarischen Jakobsweg“ z. B. für einige Bauern neue Türen geöffnet. „Sie sind von der Milch- auf die Fleischproduktion umgestiegen“, erzählt Sieberer. Wobei – und das betont er mit Nachdruck – „das Preis-Leistungs-Verhältnis für den Gast passt“.
Und plötzlich steht der Teller vor und er neben uns: Kalbsbäckchen mit Duchesse-Kartoffeln und Champignon-Speck-Ragout – Franky Van der Haeghe hat die Hütte und sein Lachen wiedergefunden.
Das verschwitzte Hemd wurde mit dem Koch-Outfit getauscht, den Gästen serviert er sein Gericht, welches ohne Übertreibung hervorragend schmeckt. Und dann muss man doch die eine Frage stellen, auch wenn man nicht weiß, ob die Antwort morgen noch gilt. „Ich komme wieder nach Tirol“, lacht Van der Haeghe. Wie schnell doch so manche Strapaze vergessen ist.