Österreichs Medaillenchancen in London „bescheiden“

In 17 Sportarten sind rot-weiß-rote Athleten am Start, in gut 10 sind Medaillen möglich.

Wien/London – Nach einer Silbermedaille sowie zwei Bronzenen bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking ist die Erwartungshaltung an die 70 Athleten des Österreichischen Olympische Komitees (ÖOC) bei den Sommerspielen in Großbritannien nicht übertrieben hoch. In 17 Sportarten, und damit drei mehr als vor vier Jahren, mischen rot-weiß-rote Sportler mit, in gut zehn sind die Chancen auf Medaillen gegeben. Mit erneut dreimal Edelmetall würde ÖOC-Präsident Karl Stoss die Erwartungen erfüllt sehen.

BADMINTON: Michael Lahnsteiner und Simone Prutsch sind im Einzel krasse Außenseiter. Die absolute Weltspitze ist außer Reichweite, eine Medaille praktisch unmöglich. Bereits der Einzug ins Achtelfinale wäre eine kleine Sensation. Dafür ist in der Vorrunde jeweils der Gruppensieg in einem Pool mit einem von 16 Gesetzten notwendig. Bereits ein Matchsieg in diesen Gruppen wäre für die Österreicher als Erfolg zu werten.

FECHTEN: Roland Schlosser ist erneut Einzelkämpfer seiner Sportart. Das Florett-Ass aus Vorarlberg hat zum Auftakt ein Freilos, in der Runde der letzten 32 wird gleich ein Kaliber warten. Das Viertelfinale ist für den 15. von Peking möglich, eine Medaille aber vermutlich außer Reichweite.

JUDO: Peking-Silbermedaillengewinner Ludwig Paischer (bis 60 kg) und Sabrina Filzmoser (bis 57 kg) zählen zu den großen Medaillenhoffnungen im ÖOC-Team. Debütantin Hilde Drexler (bis 63 kg) hat eine starke Saison abgeliefert und kann für eine Überraschung sorgen. Nicht schaden wird ein bisschen Glück bei der Auslosung am 26. Juli, denn der erste Kampf ist im Judo der schwierigste.

KANU: Im Wildwasser und im Flachwasser stellt Österreich die regierenden Weltmeisterinnen. Corinna Kuhnle hat zweimal hintereinander den Slalom bei den Welttitelkämpfen gewonnen und seit vergangenem Herbst alles Olympia untergeordnet. Yvonne Schuring/Viktoria Schwarz paddeln über 500 m gegen starke Konkurrenz um Edelmetall. Einziger männlicher Vertreter ist Helmut Oblinger im Wildwasser-Slalom, gemäß den Leistungen der vergangenen zwei Jahre sollte bei seiner fünften Olympia-Teilnahme zumindest das Halbfinale möglich sein.

LEICHTATHLETIK: Medaillen sind außer Reichweite, aber eine Finalteilnahme durch Diskuswerfer Gerhard Mayer möglich. Für 100-m-Hürdensprinterin Beate Schrott und 1.500-m-Läufer Andreas Vojta ist das Halbfinale erreichbar, Elisabeth Eberl (Speerwurf) wird kaum über die Qualifikation hinauskommen. Top vorbereitet gehen Günther Weidlinger und Andrea Mayr im Marathon an den Start, Prognosen sind nicht zuletzt wegen der unbeständigen Witterungsverhältnisse schwierig. Ivona Dadic (Siebenkampf) darf Erfahrung sammeln.

MODERNER FÜNFKAMPF: Thomas Daniel zählt nicht zu den engsten Favoriten, aber zum erweiterten Kreis von rund 20 Medaillenanwärtern. Sollte der Wahl-Niederösterreicher mit einem nicht zu großen Rückstand in den abschließenden Combined-Bewerb aus Laufen und Schießen gehen, hat er Außenseiterchancen auf Edelmetall. Das beweisen die WM-Ränge fünf (2009) und acht (2011). Daniels Schwäche ist das Schwimmen über 200 m Kraul.

RADSPORT - STRASSE, MOUNTAINBIKE: Das Straßenrennen der Herren ist ein Lotteriespiel. Österreich setzt auf die Sprintankunft einer größeren Gruppe, in der Routinier Bernhard Eisel und Youngster Daniel Schorn mitmischen könnten. Schorn will sich im Bedarfsfall in den Dienst von Kapitän Eisel stellen. Im Mountainbike hat die frühere Gesamtweltcupsiegerin Elisabeth Osl Außenseiterchancen, der Kurs mit kaum steilen Anstiegen kommt der Tirolerin aber nicht wirklich entgegen. Karl Markt und U23-Fahrer Alexander Gehbauer wären bereits mit einem Platz in den Top 20 zufrieden.

REITEN - DRESSUR, VIELSEITIGKEIT: Victoria Max-Theurer zeigte mit Augustin zuletzt starke Dressur-Leistungen. Olympia ist freilich ein anderes paar Schuhe. Das Erreichen des Grand Prix Special ist realistisch, die Musikkür der besten 18 im Bereich des Möglichen. Völlig ohne Druck geht Renate Voglsang mit Fabriano ins Viereck, sie kam von der Nachrückliste zu den Sommerspielen. In der Vielseitigkeit setzt Harald Ambros nach einer Last-Minute-Entscheidung auf O‘Feltiz.

RINGEN: Amer Hrustanovic ist Österreichs einziger Teilnehmer, er tritt im griechisch-römischen Stil an. Der Salzburger hat eine ausgeklügelte Vorbereitung hinter sich. Um seinen 19 Konkurrenten in der Klasse bis 84 kg seine Techniken nicht vor dem für 6. August angesetzten Wettkampf zeigen zu müssen, hat er vom ÖOC mit Wals-Clubkollegen Florian Marchl einen Trainingspartner für die Spiele genehmigt bekommen. Hrustanovic setzt auf seine Spezialtechnik, mit der er die Gegner überraschen will. Gelingt ihm das, ist für den gebürtigen Bosnier alles möglich.

SCHIESSEN: Die Schützen sind wie bei den vergangenen Spielen für Edelmetall gut, auch wenn sie nicht zum engsten Favoritenkreis zählen. Christian Planer verfügt mit Bronze im KK-Dreistellungsmatch 2004 bereits über eine Olympia-Medaille. Seine größten Chancen hat der Tiroler im KK-liegend-Bewerb, dort war er 2009 Europameister. Der zweite Routinier Thomas Farnik hofft bei seinen sechsten Spielen vor allem auf das Dreistellungsmatch. Zum Auftakt tritt das Duo zudem im Luftgewehr an. Olympia-Debütantin Stephanie Obermoser kann sowohl mit dem Luftgewehr als auch im KK-Dreistellungsmatch überraschen, bei der Generalprobe in London war sie im April mit dem Kleinkaliber-Gewehr Weltcup-Zweite. Für den Wurfscheiben-Schützen Andreas Scherhaufer (Trap) scheint eine Medaille unrealistisch.

SCHWIMMEN, SYNCHRONSCHWIMMEN: Nach zweimal Silber von Markus Rogan 2004 in Athen und Bronze von Mirna Jukic 2008 in Peking wird es für Österreichs Schwimmer schwierig, die Medaillenserie fortzusetzen. Rogan über 200 m Lagen und Dinko Jukic über 200 m Delfin sind absolute Finalkandidaten, auf den Bronze-Rang haben sie aber nur geringe Außenseiter-Chancen. Für die übrigen neun OSV-Beckenschwimmer wird ein Finaleinzug kaum machbar sein. Die Kraul-Staffel der Herren müsste nach dem Startverzicht von Jukic im Vorlauf schon über sich hinauswachsen, um aufzusteigen. Semifinal-Chancen haben außer Rogan und Jukic Birgit Koschischek sowie eventuell Lisa Zaiser und David Brandl. Im Duett der Synchronschwimmerinnen streben Nadine Brandl/Livia Lang unter 24 Paaren die Top 20 an, Rang 18 wäre die Optimalausbeute.

SEGELN: Alle fünf rot-weiß-roten Boote haben das Potenzial für das Medal Race der besten zehn. Am größten sind die Erwartungen an Andreas Geritzer im Laser und die zweifachen Gesamtweltcupsieger Nico Delle Karth/Niko Resch im 49er. Wind, Welle und Strömung im Revier vor Weymouth sind anspruchsvoll, der österreichische Kader hatte viele Trainingstage zum Kennenlernen und Optimieren des Materials. Das 470er-Herrenteam Matthias Schmid/Florian Reichstädter sollte Platz 24 von Qingdao 2008 auf jeden Fall toppen, die weiblichen Klassenkolleginnen Lara Vadlau/Eva Maria Schimak und Florian Raudaschl im Finn geben ihr Debüt im Zeichen der Fünf Ringe.

TENNIS: Tamira Paszek, Jürgen Melzer und Alexander Peya bilden ein nicht zu unterschätzendes Team. Das Trio fühlt sich auf Rasen bzw. in Wimbledon wohl, der Gewinn einer Medaille ist nicht unrealistisch. Melzer hat an der Church Road schon drei Titel eingeheimst und stand Anfang Juli beim Grand Slam im Doppel-Halbfinale. Peya hatte 2011 ein Doppel-Halbfinale verbucht. Melzer tritt im Einzel und mit Peya im Doppel an. Paszek hat heuer wie im Vorjahr das Viertelfinale erreicht und im Juni in Eastbourne einen Rasen-Titel geholt. Nachdem sie erst nach ÖTV-Intervention zu den Spielen gekommen ist, wird die 21-Jährige besonders motiviert sein. Letztlich besteht die Hoffnung, dass Melzer/Paszek mit ihrem kombinierten Ranking im olympischen Mixed-Comeback in den 16er-Raster kommen.

TISCHTENNIS: Werner Schlager, Chen Weixing, Liu Jia und Li Qiangbing steigen erst in der zweiten Einzelrunde ein. Ein Vordringen bis in die Medaillenränge wäre aber ein Husarenstück. In den Teambewerben haben bei den Damen Liu, Li und Amelie Solja die Bürde, in Runde eins gegen eine Top-8-Nation antreten zu müssen. Schlager, Chen und Robert Gardos sind bei den Herren selbst Top 8 und damit Favorit auf das Erreichen des Viertelfinales. Mit Auslosungsglück kann es auch eine Stufe weiter gehen. Und ist man einmal im Halbfinale, gibt es zwei Chancen auf eine Medaille. 2008 waren die ÖTTV-Herren Vierte.

TRIATHLON: Für Andreas Giglmayr und Lisa Perterer werden die Medaillenränge diesmal unerreichbar sein. Bleiben sie im Schwimmen aber dran, könnten sie nach dem flachen Radabschnitt mit der Führungsgruppe auf die Laufstrecke gehen. Wenn der Salzburger und die Kärntnerin da ihr Potenzial ausspielen, ist ein Platz unter den Top 20 oder sogar Top 15 möglich. Zumindest für Perterer mit ihren erst 20 Jahren wird es vielleicht nicht ihre letzte Olympia-Chance sein.

TURNEN - KUNSTTURNEN, RHYTHMISCHE GYMNASTIK: Barbara Gasser und Fabian Leimlehner schafften als erste Österreicher seit 48 bzw. 52 Jahren eine Olympia-Teilnahme im Turnen. Beide haben ihren Punkte-Ausgangswert erhöht und wollen einen starten Mehrkampf abliefern. Mit guten Einzelleistungen auf den Paradegeräten Schwebebalken bzw. Reck will das Duo nahe an die Top-24 rankommen, die sich für die Finalentscheidungen qualifizieren. Für die rhythmische Gymnastin Caroline Weber ist Platz 15 absolut in Reichweite, bei optimaler Tagesverfassung kann auch der eine oder andere Rang weiter vorne drinnen sein.

VOLLEYBALL - BEACH-VOLLEYBALL: Österreich stellt je ein Duo bei Damen und Herren, beide können überraschen. Doris und Stefanie Schwaiger waren 2008 in Peking bereits Olympia-Fünfte, sie haben die größeren Chancen. Die Ergebnisse sind auf der World Tour zuletzt ausgeblieben, die Niederösterreicherinnen haben in den vergangenen Jahren aber schon fast alle Topteams geschlagen. Clemens Doppler/Alexander Horst haben eine schwierige Gruppe erwischt. Wenn sie diese überstehen, ist ab dem Achtelfinale ebenfalls viel möglich. Eine Medaille wäre im ersten gemeinsamen Jahr aber eine Sensation. (APA)