London trägt bereits Purple - nur der Verkehr bereitet noch Sorgen
Aus Protest gegen den drohenden Verdienstentgang sprang ein Taxifahrer am Montag von der Tower Bridge.
London - London kommt wenige Tage vor den Olympischen Spielen in Fahrt. Die Vorfreude ist spürbar, Violett und Rot sind in der Stadt präsent - die Farben der freiwilligen Helfer, die dem Großereignis seine persönliche Note verleihen. Lediglich das hohe Verkehrsaufkommen macht der britischen Hauptstadt zu schaffen. Einige U-Bahn-Linien funktionierten zu Wochenbeginn nur eingeschränkt. Und die Menschen dürften nicht weniger werden.
Gerard Connolly ist eigentlich als Ingenieur im Logistikbereich tätig. Und das auf dem größten Flughafen Europas. Bei Olympia hebt er Gepäckstücke von Förderbändern. „Kundenservice“, grinst der Mittvierziger. Bis zu dreimal so viele Gepäck wie üblich muss auf dem Heathrow Airport derzeit abgefertigt werden. „Da müssen wir alle zusammenhelfen“, meinte Gerard. Die Kollegen habe er schnell von der ungewöhnlichen Zusatzaufgabe überzeugt. „Wann hat man sonst schon die Chance, Überstunden bezahlt zu bekommen?“
Die Olympischen Spiele bringen London aber nicht nur Arbeit, sie haben ein ganzes Stadtgebiet belebt. „Ostlondon war früher der schmutzigste Teil“, erinnerte Gerard. „Es hat eine fantastische Entwicklung genommen.“ Für sein Haus, das er vor 20 Jahren in der Gegend um den Olympic Park in Stratford gekauft hat, bekommt der Logistiker mittlerweile das Sechsfache. Auch das Olympische Dorf soll als Wohnfläche nachgenutzt werden.
Bis man den Osten der 8,2-Millionen-Einwohner-Metropole erreicht, kann von Heathrow aus aber einige Zeit vergehen. Das haben Athleten, Funktionäre und Journalisten aus aller Welt in den vergangenen Tagen zur Kenntnis nehmen müssen. Bis zu vier Stunden saßen sie in Bussen fest. Da hilft auch der Charme der Londoner Doppeldecker, die vielerorts als Shuttle dienen, nur noch bedingt.
Abhilfe vom Verkehrschaos sollen die reservierten „Olympic Lanes“ bringen, die in vollem Umfang ab Mittwoch gelten. Darauf haben Athleten und Offizielle Vorrang, auch gegenüber Taxifahrern. Diese befürchten rundherum einen Verkehrskollaps - und einen entsprechenden Verdienstentgang. Aus Protest sprang ein Londoner „Cabbie“ am Montag sogar von der Tower Bridge, auf deren Stegen überdimensional die Olympischen Ringe thronen.
„Ich verstehe die Kollegen, es ist nicht einfach bei diesem Verkehr“, sagte Busfahrer Quentin Myers. „Es ist aber etwas, mit dem wir in London leben.“ Wenngleich in der Innenstadt langsam auch das Fahrrad Einzug hält. Leihstationen sprießen aus dem Boden. Da kommt es nicht ungelegen, dass gerade ein Radsportler vor Olympia auf der Insel für den meisten Gesprächsstoff sorgt: Bradley Wiggins hat sich als erster britischer Tour-de-France-Sieger zum neuen Nationalhelden aufgeschwungen.
„Es ist schon großartig, was er aus sich herausgeholt hat“, sagt Quentin. Jetzt fehlt nur noch der Ritterschlag durch Queen Elizabeth, den der Boulevard bereits verlangt. Obwohl die Medien längst für die Spiele trommeln, geht Olympia im eigenen Land selbst an einigen der als sportbegeistert geltenden Briten vorbei. Eine junge Frau steht auf einem großen Emblem für Bogenschießen, wie sie für alle 26 olympischen Sportarten auf Londons Gehsteigen verteilt sind - zu kümmern scheint sie das aber herzlich wenig.
Beim British Museum tummeln sich die üblichen Touristenhorden. „Mich nervt, dass man sich zu dieser Zeit keine Hotels mehr leisten kann“, sagt ein deutscher Student. Und dann wäre da noch das Chaos in der U-Bahn. Am Montag mussten Teile der Central Line gesperrt werden. Das älteste U-Bahn-Netz der Welt scheint dem Ansturm von bis zu vier Millionen Fahrgästen nicht immer gewachsen.
„Wir haben extra unsere Arbeitszeiten geändert. Man hat uns gesagt, dass wir nicht in der Hauptverkehrszeit fahren sollen. Alles andere wäre der reinste Irrsinn“, erklärte Aushilfs-Gepäckträger Gerard. Seine Arbeit fernab der eigentlichen Zuständigkeit verrichtet er mit der Begeisterung für die Spiele, den ein Großteil der Londoner in sich trägt. Wann sie um Medaillen kämpfen dürfen, können sich die Sportler aber nicht aussuchen.
Und so ist der eine oder andere auch schon im Stau gestanden, wenn sich seine Wettkampf- oder Trainingsstätte nicht in unmittelbarer Nähe zum Olympic Park befindet. Journalisten werden dort neben dem vertrauten „Purple“ (Violett) der Volunteers auch von Soldaten in Camouflage-Uniformen empfangen. Die britische Armee kontrolliert die Eingänge - nicht nur, weil die Terrorangst auf der Insel besonders hoch ist, sondern vor allem, weil es eine private Sicherheitsfirma verabsäumt hat, ausreichend Personal zu rekrutieren. (APA)