Auf Talfahrt

Krise in Deutschland und Frankreich bremst Eurowirtschaft

Einkaufsmanagerindizes sinken - Deutsches Industrie-Barometer so schlecht wie Mitte 2009 - Chinas Industrie sorgt für kleinen Lichtblick

Berlin/London - Die Talfahrt der deutschen Industrie geht ungebremst weiter. Ihre Geschäfte liefen im Juli so schlecht wie zuletzt vor drei Jahren, wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Markit-Umfrage unter mehreren hundert Firmen hervorgeht. Der Einkaufsmanagerindex sank von 45,0 auf 43,3 Punkte und entfernte sich damit überraschend immer weiter von der 50-Zähler-Marke, ab der er Wachstum signalisiert. Auch die zuletzt deutlich erfolgreicheren Dienstleister mussten Federn lassen. Damit verlor die gesamte Privatwirtschaft erneut Schwung, was der ganzen Euro-Zone zusetzt. „Das deutet darauf hin, dass sich die Dinge verschlechtern“, sagte Markit-Chefvolkswirt Chris Williamson. „Deutschland bekommt immer mehr Probleme, die Kernländer sind zunehmend von der Schuldenkrise betroffen.“

Markit wertet die Daten als Vorboten für ein düsteres Sommerquartal. In der Euro-Zone dürfte das Bruttoinlandsprodukt zwischen Juli und September demnach um 0,6 Prozent schrumpfen. Von Reuters befragte Analysten gehen bereits davon aus, dass es im abgelaufenen Quartal Minus von 0,3 Prozent gab.

Hauptgrund für die schlechten Aussichten ist, dass neben Deutschland auch Frankreich immer mehr unter wachsender Verunsicherung und Konjunkturflaute ächzt. Die Stimmung in den Chefetagen des wichtigsten deutschen Handelspartners ist so schlecht wie seit fast drei Jahren nicht mehr. Der Index für das Geschäftsklima fiel im Juli um zwei auf 87 Punkte und damit das dritte Mal in Folge. In Deutschland dürfte die Stimmung der Wirtschaft ebenfalls den dritten Monat hintereinander gesunken sein. Ökonomen gehen davon aus, dass der für Mittwoch anstehende Ifo-Index im Juli erneut gefallen ist.

Die heimischen Industriefirmen drosselten laut Markit den vierten Monat in Folge die Produktion, strichen per saldo Jobs und kämpften wie seit gut einem Jahr mit sinkenden Aufträgen. Das Neugeschäft mit dem Ausland ließ so stark nach wie zuletzt im Mai des Rezessionsjahres 2009. Einen Lichtblick gab es auf der Kostenseite. Die Einkaufspreise stiegen insgesamt so gering wie seit November 2009 nicht mehr. Grund dafür war weniger Preisdruck bei Rohstoffen wie Stahl, Kupfer und Chemieprodukten.

Experten erwarten neue Zinssenkung der EZB

Auch den Service-Unternehmen machen eine geringere Produktion und schrumpfende Nachfrage zu schaffen. Ihr Optimismus für die nächsten zwölf Monate war so gering wie zuletzt im Oktober. Dennoch stellten sie unterm Strich den dritten Monat in Folge Personal ein. Das Service-Barometer fiel um 0,2 auf 49,7 Punkte - den tiefsten Stand seit September 2011. Der Composite-Index, der Dienstleister und Industrie zusammenfasst, sackte sogar auf 47,3 Zähler. Nach Ansicht der Commerzbank kommt das Wirtschaftswachstum in Deutschland im zweiten Halbjahr zum Stillstand. „All dies macht eine erneute Zinssenkung der EZB wahrscheinlicher“, sagte Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen. Die Europäische Zentralbank hatte jüngst ihren Leitzins bereits auf das Rekordtief von 0,75 Prozent gekappt.

Rund drei von vier deutschen Mittelständlern befürchten, dass die Krise letztlich die gesamte Euro-Zone in die Rezession treibt. Jede zweite Firma geht davon aus, dass die Probleme Südeuropas in den nächsten zwölf Monaten auch das eigene Geschäft in Deutschland belasten, wie aus einer Umfrage der DZ Bank unter rund 1000 Betrieben hervorgeht. Besonders pessimistisch seien hier die großen Mittelständler.

Im Zuge der globalen Konjunkturabkühlung lässt auch der Welthandel nach. Das signalisieren Daten des RWI-Instituts zum Containerumschlag in 28 Häfen weltweit. „Dies lässt darauf schließen, dass sich die bereits in den vergangenen Monaten schwache Entwicklung des internationalen Warenaustauschs zuletzt fortsetzte“, erklärten die Essener Forscher.

Für Zuversicht an den verunsicherten Finanzmärkten sorgten Daten zur chinesischen Industrie. Der Einkaufsmanagerindex der Großbank HSBC stieg im Juli um 1,3 auf 49,5 Punkte und erreichte den höchsten Stand seit Februar. Damit näherte sich das Barometer der 50-Punkte-Marke, blieb aber den neunten Monat in Folge darunter. „Das führt zu weiterer Lockerungspolitik, um Wachstum und Beschäftigung zu stützen“, sagte der HSBC-Chefvolkswirt für China, Qu Hongbin. Chinas Zentralbank hat zuletzt mehrfach die Zinsen gesenkt, um die Kreditnachfrage und damit die gesamte Wirtschaft anzukurbeln. (APA/Reuters)