Blutbad im Kino

Teilnahmsloser Blick ins Leere: James Holmes vor Gericht

James Holmes wirkte bei seiner ersten Anhörung vor Gericht völlig lethargisch. Dem 24-Jährigen wird vorgeworfen am vergangenen Freitag zwölf Kinobesucher erschossen und 58 weitere verletzt zu haben.

Aurora, Centennial – Das Rasseln der Ketten der Hand- und Fußfesseln, als er den Gerichtsaal betritt und wieder verlässt, ist das Einzige, was von James Holmes am Montagmorgen zu hören ist. Der 24-Jährige, der am vergangenen Freitag in einem Kinosaal das Feuer eröffnet haben soll, sagt kein Wort, als er zum ersten Mal dem Richter vorgeführt wird. „Sie haben das Recht zu schweigen. Alles was sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden“, belehrt Richter William Sylvester den Neurologiestudenten.

Starrer Blick ins Leere

Von diesem Recht macht Holmes seit seiner Festnahme am Freitag gebrauch. „Er spricht nicht mit uns“, sagt Dan Oates, Polizeichef von Aurora, zu Journalisten.

Nur zwölf Minuten dauert die Anhörung am Montag. Dabei geht es hauptsächlich um Formalitäten: Anordnungen, dass sich Holmes von den Opfern und Zeugen fernhalten muss, dass alle Akten unter Verschluss bleiben, eine Anordnung, dass weder die Staatsanwaltschaft noch die Verteidigung Details an die Medien weitergeben dürfen. Außerdem entscheidet der Richter, dass Holmes in Untersuchungshaft bleibt – und nicht auf Kaution freigelassen werden kann.

James Holmes wirkt im Gerichtssaal abwesend. Ohne zu blinzeln starrt er gerade aus. Dann fallen plötzlich seine Augenlider zu, seine Schultern sinken nach vorne – fast, als würde er kurz einnicken. Nach einem Moment reißt er die Augen wieder weit auf: der Blick leer, die Miene ausdruckslos. Ist er einfach nur müde? Ist er psychisch krank und nimmt nicht wahr, was gerade vor sich geht? Oder steht er unter dem Einfluss starker Medikamente? Diese Frage kann auch Bezirksstaatsanwältin Carol Chambers nicht beantworten. Sie könne sich seine Teilnahmslosigkeit und seinen benommenen Gesichtsausdruck auch nicht erklären, sagt die Chefanklägerin nach der Anhörung bei einer Pressekonferenz.

„Dämonische“ Augen

Im Gerichtssaal verfolgen auch etliche Überlebende und Angehörige der Todesopfer den ersten öffentlichen Auftritt des mutmaßlichen Todesschützen. „Wir müssen hier sein, um zu heilen“, erklärt ein Verwandter eines Opfers gegenüber der Denver Post. Angespannt hören alle zu. Auf den Stuhllehnen stehen Boxen mit Papiertaschentüchern bereit, um die Tränen zu trocknen. Im Gang wachen fünf Polizisten, falls einer der Angehörigen auf den Beschuldigten losgeht. Zwei Beamte bewachen James Holmes, der möglichst weit weg von den Angehörigen in einer Jury-Box sitzt. Neben ihm nimmt Tamara Brady Platz, eine seiner zwei Pflichtverteidiger. Sie spricht kein Wort mit ihrem Mandanten. Fragen des Richters beantwortet ihr Kollege Daniel King. „Er sieht aus wie ein armseliger Freak“, beschreibt MacKayla Hicks gegenüber CNN ihren Eindruck von dem Mann, der sich hinter einer Gasmaske versteckt hat, als er in dem Kinocenter Angst und Schrecken verbreitete. Die Frau saß in dem angrenzenden Kinosaal, als eine Kugel die Wand durchschlug und sie am Kinn verletzte. „Ich will, dass er für immer weggesperrt wird.“

David Sanchez sagt der Washington Post, er habe das Böse gesehen. Besonders die Augen des 24-Jährigen machen ihm zu schaffen: „Dämonisch, oder so. Mit diesem Mann stimmt etwas ganz und gar nicht.“ Sanchez schwangere Tochter und sein Schwiegersohn Caleb Medley sind im Kino angeschossen worden. Medley wurde am Kopf getroffen, liegt immer noch im Koma. Kurz nach der Anhörung kommt sein Sohn zur Welt.

„Vielleicht gibt es gar keine Antworten“

Die Frage, was den Neurologiestudenten zu dem Blutbad bei der „Batman“-Premiere getrieben haben könnte, bleibt auch weiter unbeantwortet. Weder Polizei noch Staatsanwaltschaft kommentieren den Stand der Ermittlungen. Zur Zeit werden die Beweise, die in Holmes Wohnung und im Kino gesammelt worden sind, ausgewertet. Das FBI untersucht laut Oates einen Computer, der in dem verminten Apartment sichergestellt wurde. Auch die „Criminal Minds“ der Behörde – die Verhaltensanalytiker und Profiler – wurden hinzugezogen, erklärte der Polizeichef am Sonntag in einem Fernsehinterview bei CBS News. „Sie werden versuchen, alles zu enträtseln. Es wird keine einfachen oder schnellen Antworten geben. Und vielleicht wird es auch gar keine geben“, sagte er in der Sendung „Face the Nation“.

Zwei bis vier Monate vor der grausamen Tat hat Holmes offenbar angefangen Waffen und mehr als 6000 Schuss Munition über das Internet zu kaufen. Er hat in seiner Wohnung ein raffiniertes Netz aus Sprengfallen gelegt. Wäre der Zünder ausgelöst worden, hätten noch mehr Menschen ihr Leben verloren. Zehn Tage vor dem Amoklauf verließ der Neurologiestudent das Doktoranden-Programm, nachdem er nur drei Tage zuvor die große Abschlussprüfung des ersten Jahres abgelegt hatte. Warum? Niemand außer ihm selbst scheint es zu wissen. „Diesen Teil des Formulars ließ er frei“, erklärt der zuständige Dekan der University of Colorado gegenüber CNN.

Vielleicht gibt es am kommenden Montag einige Antworten. Bei diesem Gerichtstermin wird die Staatsanwaltschaft die Anklage erheben. Bis dahin bleibt James Holmes in Einzelhaft im Gefängnis – zu seinem eigenen Schutz, wie die leitende Staatsanwältin erklärt. Bis es endgültig zum Prozess kommt, kann es dann noch Monate dauern.

Im Laufe der Woche werden die zwölf Todesopfer in Aurora beigesetzt. Bis Montagabend sind noch 15 der 58 Verletzten in Krankenhäusern behandelt worden. Fünf schweben noch immer in Lebensgefahr. (smo)