Sorge um Syriens Chemiewaffen: Abschreckung oder reale Gefahr?
Die Gegner Assads fürchten dessen Chemiewaffen. Wie weit wird das syrische Regime gehen? In Israel glaubt man immerhin, dass das Regime mit dem Arsenal „verantwortlich“ umgeht. Doch was, wenn der Druck weiter steigt?
Kairo, Damaskus - Syrien hat Chemiewaffen, das weiß die Welt seit den 1990er Jahren. Auch, dass die Waffen nun innerhalb des Landes verlegt wurden, scheint gesichert. Doch wie groß ist die Gefahr? Dass ein Sprecher des Regimes offen über die Waffen spricht, sorgt für Aufregung: Waren seine Worte eine versteckte Drohung? Oder dienten sie der Beschwichtigung in einer aufgeheizten Lage?
„Bestände an Massenvernichtungswaffen oder unkonventionellen Waffen, die im Besitz der Syrischen Arabischen Republik sind, werden niemals, niemals und unter keinen Umständen gegen Zivilisten oder gegen das syrische Volk eingesetzt, auch völlig unabhängig davon, wie sich die (gegenwärtige) Krise entwickelt“, sagte der syrische Außenamtssprecher Dschihad Makdissi am Montag. Dann fügte er noch hinzu, dass diese Waffen ausschließlich im Falle einer „äußeren Aggression“ gegen Syrien zum Einsatz gelangen könnten.
„Chemische Trumpfkarte“
In dieser Aussage aus Damaskus sehen manche einen kalkulierten Schachzug der syrischen Führung. Bedrängt durch den immer stärker werdenden Aufstand und international isoliert, habe das Regime von Präsident Baschar al-Assad die „chemische Trumpfkarte“ gezogen, meint die Analystin Randa Slim von der New America Foundation in der „New York Times“. „Man droht damit, um die eigene, sich rapide verschlechternde Verhandlungsposition zu stärken.“
Westliche Politiker reagierten auf die Worte aus Damaskus mit markigen Warnungen. Die Machthaber in Damaskus sollten keinen „tragischen Fehler“ begehen und diese Waffen einsetzen, sagte US-Präsident Barack Obama am Montag in Nevada. „Die Welt schaut zu.“ Und sie werde das Regime zur Verantwortung ziehen, mahnte Obama.
Das Regime in Damaskus „sollte nicht einmal im Ansatz darüber nachdenken, Chemiewaffen einzusetzen“, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, George Little. Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle sagte, die Drohung, Massenvernichtungswaffen gegen „äußere Aggressoren“ einsetzen zu wollen, sei „ungeheuerlich“.
Tatsächlich zählt das gegebene Wort bei dem Assad-Regime nicht viel, Beteuerungen des Wohlverhaltens noch weniger. Doch bei den hochgefährlichen Chemiewaffen dürfte der Realitätssinn überwiegen. Wie auch bei anderen autoritären und totalitären Regimen dient ein bloßes Erwähnen von Massenvernichtungswaffen der Abschreckung und damit dem Überlebenskampf der Führungsriege.
Israels Außenminister Avigdor Lieberman zog am Dienstag beim Besuch in Brüssel unmissverständlich eine „rote Linie“ für das Assad-Regime: Eine Weitergabe von Massenmordwaffen an die mit Damaskus verbündete, radikale Hisbollah-Organisation im Libanon würde für Jerusalem einen „Casus belli“(Kriegsgrund) darstellen. Lieberman gilt im eigenen Land eher als Scharfmacher.
„Syrien geht verantwortlich mit Chemie-Waffen um“
Das israelische Sicherheitsestablishment sieht die Sache hingegen gelassener. Syriens Machthaber gehe „verantwortlich mit Chemiewaffen um“, sagte ein Informant aus Regierungskreisen am selben Tag der Zeitung „Haaretz“. „Solange Assad an der Macht ist, ist mit dem Einsatz von Chemiewaffen nicht zu rechnen“, meinte auch der Strategieprofessor Ejal Zisser vom Dajan-Zentrum in Tel Aviv jüngst in einem dpa-Gespräch. „Und wenn er verliert, dann wird er aus dem Land fliehen.“
Das Assad-Regime habe weiterhin die volle Kontrolle über die Chemiewaffen-Bestände, erklärte der Chef des Sicherheitsbüros im israelischen Verteidigungsministerium, Amos Gilad, am Dienstag. Dies gehe aus den geheimdienstlichen Erkenntnissen eindeutig hervor. Auch eine Weitergabe an die Hisbollah habe bislang nicht stattgefunden. Israel müsse „wachsam sein, aber es besteht kein Grund zur Panik“. (dpa)