Syrien

Syrische Armee greift Millionenstadt Aleppo aus der Luft an

Assads Truppen wollen den Widerstand der Rebellen in Aleppo brechen. Im Morgengrauen startete ihre Offensive. Unter Syriens Kurden gewinnt die in der Türkei aktive PKK-Guerilla Einfluss.

Amman, Damaskus, Beirut – Die seit Tagen erwartete Offensive der syrischen Regierungstruppen gegen die nördliche Handelsmetropole Aleppo hat begonnen. Die Syrischen Menschenrechtsbeobachter in London berichteten am Samstag von schweren Kämpfen an den Zugängen zum südwestlichen Außenbezirk Salaheddin, einer Hochburg der aufständischen Freien Syrischen Armee (FSA). Zudem haben Regierungstruppen nach Angaben von Oppositionellen damit begonnen, die Millionenmetropole aus der Luft anzugreifen. Salaheddin sei von Hubschraubern aus beschossen worden, teilte die oppositionelle Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Samstag mit.

Drei Tote in der Nacht auf Samstag

Auch in anderen Teilen der größten Stadt des Landes sei es zu schweren Zusammenstößen zwischen Regierungstruppen und Gegnern gekommen. Drei Rebellen seien zwischen Mitternacht und dem frühen Samstagmorgen getötet worden.

Der Kampf um das wirtschaftliche Zentrum des Landes könnte zu einer der entscheidenden Schlachten in dem seit 16 Monaten andauernden Konflikt werden. Der Schwerpunkt des Aufstandes gegen Präsident Bashar al-Assad lag lange Zeit in den Provinzen. In der vergangenen Woche riefen die Rebellen eine Schlacht um die Hauptstadt Damaskus aus, wo seitdem die Gewalt sprunghaft zugenommen hat. Auch in Aleppo haben sie nach eigenen Angaben und Augenzeugen zufolge die Kontrolle über mehrere Stadtteile an sich gerissen.

Die Regierungstruppen wollten mit dem Beschuss die Rebellen aus ihren Hochburgen in Aleppo vertreiben, sagten Regierungsgegner am Freitagabend. Zugleich solle ihnen der Nachschub abgeschnitten werden. Die Syrische Beobachtungsstelle zeigte Videoaufnahmen, auf denen zu sehen war, wie Rauch aus Wohnhäusern aufstieg. Zudem waren Gewehrschüsse deutlich zu hören.

Westen befürchtet Massaker

Die USA befürchten, dass Assads Truppen in Aleppo ein Massaker anrichten könnten. Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan forderte arabische Länder und den UNO-Sicherheitsrat als Reaktion auf die Kämpfe um Aleppo zur Zusammenarbeit auf. Er zeigte sich auch wegen des Chemiewaffenarsenals der syrischen Führung besorgt. Der britische Premierminister David Cameron sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Erdogan am Freitag in London, beide Länder fürchteten „wirklich entsetzliche Handlungen“ der Regierungstruppen in und um die Metropole. UNO-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay rief beide Seiten auf, Zivilisten zu verschonen. Die syrische Führung hatte vor wenigen Tagen erstmals zugegeben, über Chemiewaffen zu verfügen und damit gedroht, diese im Fall einer ausländischen Militärintervention einzusetzen.

Weder die Truppen Assads noch seine Gegner haben in dem Konflikt bisher militärisch die Oberhand gewinnen können. Tausende Menschen sind in die Nachbarländer geflohen. Nach Schätzungen der Opposition wurden insgesamt mindestens 18.000 Menschen getötet, allein am Freitag soll es 160 Tote gegeben haben. Die Angaben aus Syrien lassen sich kaum überprüfen, weil die Regierung unabhängigen Journalisten den Zugang weitgehend verweigert.

Verschleppte Italiener kamen wieder frei

Zwei italienische Techniker, die Unbekannte vorige Woche auf dem Weg zum Flughafen von Damaskus verschleppt hatten, kamen indessen wieder frei. Die beiden Männer seien bei einem Einsatz des syrischen Militärs gegen Aufständische befreit worden, berichtete das staatliche syrische Fernsehen am Samstag. Sie waren für das Kraftwerksprojekt einer italienischen Firma in Syrien tätig.

Die in Syrien seit Jahrzehnten unterdrückten Kurden erlangen unterdessen ungeahnte Freiheiten. Denn unter dem Druck des Aufstands zieht der syrische Präsident Truppen aus dem Kurdengebiet in die Kampfzonen ab. Nach Medienberichten fallen die syrischen Kurden nun teilweise unter den Einfluss der in der benachbarten Türkei aktiven Guerillatruppe der PKK, die von der Türkei als Terrororganisation bekämpft wird.

Verschiedene Kurdenorganisationen hätten sich geeinigt, gemeinsam mit Assad über einen Kurdenstaat in Nordsyrien zu verhandeln. Darunter sei auch die PKK, berichtete das Magazin „Focus“. Im Grenzort Al-Kamishli werde eine „Regionalregierung von Nordsyrien-Kurdistan“ eingesetzt, sagte der Präsident der syrisch-kurdischen Nationalversammlung, Sherkoh Abbas, dem Blatt.

PKK übernahm bereits in Teilen Syriens die Kontrolle

In Teilen Nordsyriens hat die PKK nach Angaben der syrischen Partei Kurdische Zukunftsbewegung bereits die Kontrolle übernommen. Er befürchte daher Spannungen im syrisch-türkischen Grenzgebiet, sagte Siamend Hajo, Europasprecher der Zukunftsbewegung, am Samstag im Deutschlandradio Kultur. Kurdische Milizen hätten in einigen Städten die Aufgaben der Sicherheitskräfte übernommen, sagte der in Deutschland lebende Politologe. Die nun in den syrischen Kurdengebieten auftretende PYD-Miliz sei „die syrische Zweigstelle der PKK“, sagte er. (APA/dpa/Reuters)