Der Geheimnisverräter
Richard David Precht spricht im TT-Interview über neidische Feuilleton-Schreiber, sensible Philosophen und das befreiende Gefühl, auch mal keine Ahnung zu haben.
Innsbruck – In Deutschland gilt Richard David Precht spätestens seit seinem Bestseller „Wer bin ich und wenn ja wie viele“ als gefragtester Welterklärer der Medien-Landschaft. Seit Sonntag moderiert er – als Nachfolger von Peter Sloterdjik und Rüdiger Safranski – eine Philosophie-Sendung im ZDF, die sogar nach ihm benannt wurde. Morgen ist er, zusammen mit dem Schriftsteller Guy Helminger, ab 19 Uhr im Spanischen Saal von Schloss Ambras zu Gast und hat angekündigt, „Philosophisches Doppel“ spielen zu wollen.
Es gibt das Gerücht, dass Guy Helminger einen wichtigen Beitrag zu Ihrem publizistischen Durchbruch geleistet habe. Er soll dem Bestseller „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ den Titel gegeben haben ...
Precht: Der Titel entstand auf der Frankfurter Buchmesse. Sowohl Helminger als auch ich haben uns für das Wettlesen um den Bachmann-Preis beworben, wir haben Manuskripte verschickt und auf Reaktionen gewartet. Die blieben allerdings aus und wir gingen davon aus, dass der Bachmann-Preis ohne uns vergeben wird. Also haben wir dem Alkohol zugesprochen. Irgendwann meinte Helminger, er gehe jetzt nach Hause. Ich traute ihm nicht mehr zu, dass er sein Hotel findet, also bin ich hinterher. Da dreht er sich um, schaut mich böse an und fragt: „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ Glücklicherweise war ich nicht so betrunken, um zu erkennen, dass das ein wunderbarer Titel für das Buch war, über das ich mir gerade den Kopf zerbrach.
Das Buch wurde ein Bestseller, haben Sie mit einem solchen Erfolg gerechnet?
Precht: Natürlich hofft man immer, dass ein Buch viele Leser findet. Das Buch sollte eine lesbare Einführung in die Philosophie sein. Aber mit einem solchen Erfolg hätte keiner gerechnet.
Als Erfolgsautor wurden Sie zum Stammgast in Talkshows. Dafür gab es auch Kritik. Schickt es sich für einen ernst zu nehmenden Philosophen nicht, populär zu sein?
Precht: Das ist in Deutschland so. Es ist eine sehr spezielle deutsche Tradition. In Frankreich oder England ist es ganz normal, dass sich Philosophen auch außerhalb der Universitäten zu Wort melden. In Deutschland gibt es eine Trennung zwischen der akademischen Welt und der Öffentlichkeit. Das ist historisch gewachsen. Aber das wird sich mit der Zeit ändern. In ein paar Jahren wird sich kein Mensch mehr darüber aufregen.
Wie sind Sie selbst mit der Kritik von Kollegen umgegangen?
Precht: Es hat natürlich etwas von einem Geheimnisverrat, wenn man das, was an den Universitäten als große Kunst gelehrt wird, in populären Büchern unters Volk bringt. Aber es sind nicht die Kollegen, die mich attackiert haben, sondern die Feuilletons. Und selbst da kommt die Kritik in der Regel von Männern. Und sie kommt von Männern meines Alters.
Also geht es letztlich um Neid?
Precht: Der Gedanke liegt nahe.
Am Wochenende startete Ihre eigene TV-Sendung. Sehen Sie sich eigentlich als Volksbildner?
Precht: In der Sendung geht es mir schon um einen Erkenntnisgewinn für die Zuschauer. Es soll keine Krawallshow sein. In meinen populären Büchern bin ich kein Philosoph im engeren Sinn, sondern in der Vermittlerrolle. Aber man muss Philosophie populär machen, damit sie wirken kann. Schon die Idee der platonischen Dialoge war es, Philosophie so zu vermitteln, dass sie von möglichst vielen verstanden werden kann. Auch in der Zeit der Aufklärung gab es immer wieder solche Bemühungen. Selbst Kant hat sich bemüht, sehr einfach zu schreiben.
Das ist ihm aber nicht immer gelungen ...
Precht: Nein, aber er hat es gewollt. Auf den Vorwurf, er schreibe nicht allgemeinverständlich, soll er sehr sensibel reagiert haben. Kant war der Letzte, der absichtlich kompliziert schreiben wollte. Im Gegensatz zu sehr vielen Hochschulphilosophen heutzutage.
Man schreibt absichtlich unverständlich?
Precht: Nicht unverständlich, aber kompliziert. Das wird auf der Uni auch belohnt, für aufwändige Satzkonstruktionen und Fremdwörter. Studierende werden darauf konditioniert.
Sie sind selbst Professor an zwei Hochschulen ...
Precht: Ein Kennzeichen meiner Vorlesungen ist es, dass ich sie komplett frei halte – auch ohne Manuskript. Ich versuche den Stoff frei zu präsentieren. Wenn ich aber über Kant spreche, muss ich auch seine Begrifflichkeit verwenden – das tue ich in meinen Büchern nicht. Allerdings versuche ich auch den Blick von außen. Die Professoren, bei denen ich studiert habe, haben versucht Kant nur aus sich selbst heraus zu erklären. Das geht auf Kosten der Nachvollziehbarkeit.
Finden Sie neben Vorträgen und Lesungen, TV-Sendungen und Uni-Seminaren eigentlich noch Zeit zum Philosophieren?
Precht: Ich habe das Talent, mich gut konzentrieren zu können. Der Großteil meiner Bücher entstand auf Zugreisen. Außerdem nehme ich mir immer wieder die Zeit, zur Besinnung zu kommen.
Wie sehr nervt es eigentlich, immer Fragen beantworten zu müssen?
Precht: Es gibt genug Fälle, in denen ich ganz befreit „Ich weiß es nicht“ sagen kann. Ich finde es mitunter ausgesprochen sympathisch, wenn jemand auch zugeben kann, dass er nicht immer überall den Durchblick hat.
Das Gespräch führte Joachim Leitner