Von der Sucht, Tiere statt Briefmarken zu sammeln
Beim „Animal Hoarding“ sammeln Menschen so viele Tiere, dass dabei die Kontrolle verloren geht. Für die Tiere eine Qual.
Von Judith Sam
Innsbruck –Sich Vögel als Haustiere zu halten ist eine Bereicherung. Außer man übertreibt und teilt sich seine Einzimmerwohnung mit 170 Vögeln. Diese Situation fanden Tierschützer 2009 in der Wohnung eines Wiener Pensionisten vor. Auch in Tirol kommen solche Fälle vor. „Dieses Phänomen wird als ‚Animal Hoarding‘ bezeichnet“, sagt Tirols Tierschutzombudsmann Martin Janovsky. Und stellt eines klar: Menschen, die zwanghaft Tiere sammeln, sind zwar tierlieb, können jedoch schnell die Kontrolle über ihre Menagerie verlieren.
Dieses krankhafte Verhalten legen laut dem Innsbrucker Psychotherapeuten und Sozialwissenschafter Gerhard Wagner vor allem Frauen an den Tag: „Die meisten Betroffenen sind weiblich und älter als 50 Jahre. Sie sind oft depressiv, leiden an Angsterkrankungen oder Zwängen und verfügen nur über stark eingeschränkte soziale Kontakte.“ Um emotionale Defizite auszugleichen, suchen sie Trost bei Tieren. Der Haken an der Sache: „Laut dem österreichischen Tierschutzgesetz kann jeder so viele Tiere besitzen, wie er will – vorausgesetzt, er verfügt über die notwendige Zeit, die finanziellen Mittel und den Platz, die Tiere artgerecht zu halten“, sagt Janovsky. Genau das sei bei den Tiersammlern aber nicht gegeben. Daher müssten immer wieder Behörden und Tierschützer eingreifen, um Tiere aus untragbaren Situationen zu befreien, wo weder das Minimum an Futter noch Hygiene gewährleistet werden kann.
„Personen, die sich in wesentlichen Lebensaspekten schon stark belastet fühlen, sind mit einer pflegeintensiven Tierhorde schnell völlig überfordert“, ergänzt Wagner. Die Patienten besorgen sich erst nur ein paar Tiere, wollen die vielleicht züchten und kastrieren sie nicht: „So kommt es rasch zu einer explosionsartigen Zunahme an Tieren und die Situation spitzt sich zu.“
Zum Glück seien die in Tirol vorkommenden Animal-Hoarding-Fälle nicht so schwerwiegend wie in anderen Bundesländern und im Ausland. Aus der veterinärmedizinischen Dissertation der Deutschen Tina Sperlin geht etwa hervor, dass in Deutschland 52.569 Tiere von 501 Hortern gehalten wurden.
Die Fälle werden meist nach Meldungen von Nachbarn bekannt. Dann besteht Handlungsbedarf. Manche Tiere, denen die Bedingungen besonders stark zugesetzt haben, müssen eingeschläfert werden. „Überlebende Tiere kommen in Tierheime, aber es ist natürlich nicht einfach, auf einen Schlag für 50 Hunde neue Besitzer zu finden“, gibt Janovsky zu bedenken. Zudem bedarf es psychologischer Hilfe für die Hortenden. „Allerdings ist dieses Phänomen in Österreich noch nicht als Krankheitsbild anerkannt“, sagt Wagner. Krankheit und Behandlung wären mit dem Messietum zu vergleichen, an dem geschätzte 30.000 Österreicher leiden. Sie stellen ihre Wohnung mit Gegenständen so voll, dass sie sich darin kaum noch bewegen können.
Den Hortenden alle Tiere wegzunehmen ist selten effektiv. Janovsky: „Sinnvoller wäre es, ihnen wenige Tiere zu überlassen und deren Anzahl regelmäßig zu kontrollieren.“