Endspurt für Löwen-Jäger

Die Auseinandersetzung mit Glaube und Ideologien sowie herausragende Darstellerleistungen prägten die erste Woche der Filmfestspiele von Venedig.

Venedig –Einhellige Zustimmung für „Après Mai“ von Olivier Assayas, Lob für Paul Thomas Anderson und „The Master“ und eine Anzeige für Ulrich Seidls „Paradies: Glaube“: Nach einer Woche kristallisieren sich bei den 69. Filmfestspielen von Venedig langsam die ersten Favoriten im Rennen um den Hauptpreis, den Goldenen Löwen, heraus. Doch mit dem als eigenwillig geltenden Action-Regisseur Michael Mann an der Juryspitze und einigen noch ausstehenden Hochkarätern, wie Brian De Palmas „Passion“, ist das Ergebnis der Preisverleihung am Samstag schwer abzuschätzen.

Im allgemeinen Kaffeesud-Lesen am Lido gilt es als fraglich, ob Mann, der Filme wie „Heat“ und „Miami Vice“ gedreht hat, Gefallen an dem vergleichsweise ruhigen und scheinbar ziellos mäandernden Post-68er-Drama „Après Mai“ haben könnte. Auch an der Preiswürdigkeit von Seidls schwarzhumorigem Religionsstreit im ehelichen Haushalt wird gezweifelt. Weniger wegen der Qualität des Films, der beinahe einhellig gelobt wird, sondern wegen des Blasphemie-Vorwurfs, den einige konservative Gruppen erheben. Geht es nach den Buchmachern, gilt Paul Thomas Andersons prominent besetzter Sekten-Film „The Master“ als derzeitiger Favorit auf den Goldenen Löwen. Kim Ki-Duks drastische Geldeintreiber-Story „Pieta“ werden Außenseiterchancen zugesprochen. Bisher waren es allerdings weniger die Filmemacher, die dem Festival ihren Stempel aufgedrückt haben, sondern die zum Teil beeindruckenden Leistungen der Schauspieler. Bei den Frauen gilt derzeit Jo Min-soo, die in „Pieta“ die Rolle der Mutter spielt, als Favoritin für den Darstellerpreis. Aber auch die Deutsche Franziska Petri, die im russischen Wettbewerbsbeitrag „Izmena“ von Kirill Serebrennikow eine betrogene Ehefrau spielt, und Seidls Hauptdarstellerin Maria Hofstätter als Frau mit einer bis ins Erotische reichenden Liebe zu Jesus können sich Hoffnungen auf eine Auszeichnung machen. Hofstätter ist – wie auch ihr Regisseur Seidl und das Filmfestival selbst – für ihre Arbeit wegen Gotteslästerung angezeigt worden. Bei den Männern überzeugten sowohl Joaquin Phoenix als auch Philip Seymour Hoffman in „The Master“, italienische Medien feiern die Darstellung von Lokalmatador Toni Servillo in „È stato il figlio“, und selbst für Terrence Malicks „To The Wonder“, der weitgehend abgelehnt wurde, wurde Javier Bardems fein gearbeitete Darstellung eines Priesters, der angesichts der Armut um ihn herum an seinem Glauben zweifelt, wohlwollend besprochen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es die Themen Religion und Ideologien waren, die die erste Woche der Filmfestspiele, die in diesem Jahr erstmals nach mehrjähriger Pause von Alberto Barbera geleitet werden, prägten. Auch außerhalb des Wettbewerbs: So ließ es sich Barbera nicht nehmen, mit „Heaven‘s Gate“ einen der legendärsten Flops der Filmgeschichte in der Retrospektive zu präsentieren und den Film, der einst die ruhmreiche Produktionsgesellschaft „United Artists“ in den Ruin trieb, wenigstens teilweise zu rehabilitieren. „Heaven‘s Gate“-Regisseur Michael Cimino erhielt zudem, genauso wie sein Landsmann Spike Lee, einen der verschiedenen Lebenswerk-Preise, die im Rahmen des Festivals vergeben werden. Der wichtigste dieser Preise, der Goldene Löwe für die Karriere, ging aber nicht nach Hollywood, sondern blieb in Italien: Er wurde Francesco Rosi zugesprochen. (APA, jole)