„Es geht ums Gewinnen“
Fußball-Tirol ist vom erfolgreichen Weg abgekommen. In der TT diskutierten Ex-Teamchef Didi Constantini, Akademie-Leiter Helli Lorenz und Wattens-Coach Roli Kirchler, warum die Kugel nicht richtig rollt.
Innsbruck –Der Sand im Tiroler Fußballgetriebe lässt sich von der Ausbildungsschiene über fehlenden Geldgeber bis hin zu einer fehlenden Zweitliga-Mannschaft ausmachen. Welches Potenzial liegt brach? Wo sind die größten Baustellen auszumachen? Geht das Fußball-Land tatsächlich unter? In heißen zweieinhalb Stunden gab das Dreieck Constantini-Kirchler-Lorenz Gas.
Der Tiroler Weg führt über die Landesausbildungszentren in die Akademie und später für die Besten im Idealfall zu den (Wacker-)Profis. Wie war Ihr eigener Weg?
Didi Constantini: Ich bin ein Verfechter, dass Junge früher in der Kampfmannschaft spielen. Momentan habe ich aber das Gefühl, dass eher die Ausnahme davon die Regel ist. Ich verstehe nicht, dass wer auf die Idee kommen kann, dass junge Talente während der Trainingswoche von drei unterschiedlichen Trainern trainiert werden. Der Klassiker ist der: dass diese Spieler am Wochenende mit einem Trainer zum Spiel fahren, den sie unter der Woche nicht gesehen haben. Wir hatten das Glück, dass wir mit Walter Ludescher einen Ex-Profi als Trainer hatten. Wir haben uns als Team sowie als Einzelne weiterentwickelt. Die Kinder brauchen eine Bezugsperson, im Sport und im Leben.
Helmut Lorenz: Zu meiner Person: Ich bin polysportiv (viel Skifahren) aufgewachsen, erst mit 20 von Oberperfuss zur U 21 gekommen, erst mit 24 Profi geworden. Hätte ich eine ähnlich gute Ausbildung genossen wie die AKA-Kicker, hätte es aber zu mehr gereicht. Zur Akademie: Von den 70, die jährlich da sind, schaffen es vielleicht zwei. Es gibt ein rigoroses Ausleseverfahren, und das versuchen wir den Eltern auch immer wieder zu vermitteln.
Roland Kirchler: Happel hat mich aus Wattens geholt, gemeinsam mit Ronny Fuchs plötzlich im Supercup aufgestellt. Der war immer in der Regionalliga spionieren oder hat einen geschickt. Der Kitzi (Kitzbichler) hat auch über den Umweg Kundl noch eine Riesenkarriere gemacht. Jetzt tun sie so, als ob es aus der Westliga keinen Weg mehr in die Bundesliga geben würde.
Constantini: Noch ein Wort zu der Rolle der Eltern: Bei einem Camp hat mich ein Vater eines Fünfjährigen einmal gefragt, ob er seinen Bub zu Rapid oder zur Austria geben soll. Ich habe geantwortet: Lass‘ deinen Buam in Ruh‘!
Als bestes Beispiel, dass Talente da sind, lässt sich doch jene Truppe anführen, die nach dem FC-Tirol-Konkurs den Durchmarsch in die Bundesliga in Angriff nahm. Da konnten ein Mimm, Eder, Schrott, Mader an der Seite arrivierter Spieler (Hörtnagl, Wazinger) reifen?
Lorenz: Dieses Beispiel sagt alles. Jene, die jetzt bei Mattersburg Bundesliga spielen, waren in der Akademie auch nicht besser als die unseren. Bei unseren Besten ist auch oft die Geduld nicht da. Dass der Profitrainer nicht die Zeit haben kann, ist mir klar. Außerdem dauert der Schritt von der AKA, die viele schon mit 17 verlassen, in den Profifußball gleich lang wie die Ausbildung, also noch mal drei Jahre. Dann sind die Spieler 20 und man kann immer noch nicht sagen, ob der ein Profi wird oder nicht! Einen Cihak, Toplitsch oder Zangerl, von denen der Roli in höchsten Tönen spricht, hat man ausgemustert. Warum so schnell?
Kirchler: An der Seite einiger Arrivierter können Junge wachsen. Wir haben es in Tirol auch verabsäumt junge Spieler dazu einzubauen. Mattersburg erntet jetzt die Früchte aus dem Prozess einer längeren Verjüngungskur. Jetzt verjüngen ist beim FC Wacker schwer, weil es ums Überleben geht. Dass Cihak, Zangerl, Toplitsch Toptalente sind, unterschreibe ich. Bei mir in Wattens sind sie limitiert, weil sie am Niveau der Liga auf Dauer nichts mehr lernen können, weil wir zu 90 Prozent die bessere Mannschaft sind. Auch der Pranter hätte ohne sein Verletzungspech den Weg eines Wernitznig – ein super Junge – nehmen können, wenn man ihm das gleiche Vertrauen geschenkt hätte. Fakt ist: Wenn ich als Tiroler Verein keinen Harding – der „Schurl“ war ein charakterlich super Typ, der alles gegeben hat – herausbringen kann, muss ich zusperren.
Constantini: Es entscheidet der Trainer, ob einer hinaufkommt. Und egal ob der Slogan Tiroler Weg oder anders heißt, geht‘s oben um den Erfolg. Wenn der ausbleibt, bist so oder so weg. Das Ganze ist auch eine Frage der Erwartungshaltung: Wenn du in Ried als Ziel den Klassenerhalt ausgibst, hast du kein Problem. In Innsbruck ist der Europacup die Erwartungshaltung. Dabei ist ein Platz zwischen sechs und sieben absolut okay.
Der Name Mattersburg ist gefallen. Deren Akademie-Infrastruktur ist im Vergleich zu Tirol ein Paradies.
Lorenz: Die Mattersburger haben einen Riesengrund vom Pfarrer für fünf Euro geschenkt bekommen, so sagt man. Das Akademie-Stadion ist besser als das Pappelstadion. Natürlich bringt eine bessere Infrastruktur etwas Besseres hervor. Aber ist sie wirklich so entscheidend? Vielleicht wäre der ein oder andere dageblieben, wenn wir mehr bieten könnten. Fakt ist, dass du schon die ganz jungen Supertalente vertraglich binden musst, und das könnte nur der FC Wacker. Sonst sind sie weg. Wir sind mit unseren Bedingungen zufrieden. Ich nehme unsere Bedingungen nicht als Ausrede, dass wir zu wenig nach oben bringen.
Constantini: Ein Kunstrasenplatz und fünf Kabinen sind keine Akademie.
Oftmals fiel rund um die Nachwuchsarbeit in der Akademie der Satz, dass das Ergebnis hinter der Ausbildung nur zweitrangig sei.
Constantini: Mit so einem Satz ist alles gesagt: Wie soll so einer je den Druck aushalten? Der bricht sofort weg. Es geht ums Gewinnen, und so erzeugt man sicher keinen Winnertypen. Wie lange reden wir schon? Zwei Stunden.
Kirchler: Ich kann nicht mehr hören, dass es in der Ausbildung nicht um Ergebnisse geht.
Der Nachwuchsfußball ist zeitintensiv. Und Lehrer haben eben eher am Nachmittag Zeit. Also sind die für die Nachwuchsarbeit prägend, das ist klar. Nicht verständlich hingegen ist, dass es offenbar nicht möglich ist, sich in Tirol das Wissen und Können von Ex-Größen zunutze zu machen: So sind Vorbilder wie Baur (Salzburg/Anif), Streiter (Horn), Linzmaier (Scout bei RB Salzburg) oder Hörtnagl (Koordinator bei Greuther Fürth) verloren gegangen.
Constantini: Die Jugoslawen machen es vor, haben lauter Ex-Kicker im Nachwuchs. Man sieht, dass sich das lohnt.
Kirchler: Supertalente sollten super trainiert werden. Bei Sturm Graz arbeiteten z. B. auch Prilasnig, Neukirchner, Schopp, Wetl. Leute, die wissen, worauf es ankommt; die Höhen und Tiefen erlebt und dazu menschliche Kompetenz und Führungsqualitäten haben. Diese Leute braucht man an der Basis. Was bei Sturm funktioniert, müsste doch in Tirol auch gehen. Ein Beispiel von mir: Ich hab‘ den Fußball erst unterm Jara richtig kapiert. So wie er mir sein Know-how vermittelt hat, musst du heute mit einem Zwölfjährigen arbeiten, dann haben wir mit 22 vielleicht wieder einmal einen Super-Kicker. Aber dafür muss man Geld ausgeben.
Lorenz: Aber das ist leichter gesagt als getan. Baur haben wir gefragt, der war nach einem halben Jahr als Individualtrainer wieder dankend weg. Es fehlt am Geld, das ist Fakt (Tirol zahlt laut Constantini seinen Trainern weniger als andere Bundesländer, Anm.).
Zurück zum Tiroler Weg, der an der Spitze den FC Wacker, dahinter die WSG Wattens und Akademie als Dreieck sieht? Hier tun sich zuweilen auch Gräben auf.
Lorenz: Wir haben viel mit dem FC Wacker zu tun, aber ganz oben dividiert sich‘s auseinander, obwohl sich die drei Präsidenten (Wacker, TFV, Wattens) schon einig waren. Das Elitetraining entstand mit Spielern aus Wattens, den Amateuren und der Akademie. Nach einem Jahr verschwanden die Spieler aus Wattens inklusive Trainer Kirchler, jetzt sieht es bald so aus, dass auch die Akademiespieler nicht mehr dabei sein werden, die Akademietrainer sind schon weg. Schade. Das Projekt ist vom Ansatz her gut gewesen.
Kirchler: Ich will hier keinen Schuldigen ausmachen. Walter (Kogler) hatte vier Jahre tollen Erfolg. Wir haben keine Zweitligamannschaft, keine Sponsoren, kündigen die Westliga auf – der Westen stirbt. An wen muss man sich wenden, dass sich endlich etwas ändert?
Das Gespräch führten Alex Gruber und Hubert Winklbauer