Literatur

Schattierungen des Marketings: Das Phänomen „Shades of Grey“

Die „Shades of Grey“-Bücher sind auf mehreren Ebenen ein Phänomen. Doch neben all den Fragezeichen hinter den Gründen für ihren Erfolg bringen sie noch eine Menge mehr: Harte Vermarktungsmöglichkeiten.

London - In den USA wird es schon länger nur noch „das Buch“ genannt. In Großbritannien hat es Harry Potter überholt, und in Deutschland schwappt die Welle gerade über. „Shades of Grey - Gefährliches Verlangen“ ist der Name des Erfolgs. Autorin E.L. James hat mit ihren Geschichten von Fesselspielchen, Sado-Maso, Dominanz und Unterwerfung ein echtes Phänomen geschaffen. Mehr als 40 Millionen Bücher der Trilogie sind weltweit schon verkauft. Die Britin, die mit richtigem Namen Erika Leonard heißt, ist in wenigen Monaten zur Multimillionärin geworden. Jetzt nutzt sie zusammen mit umtriebigen Firmenpartnern die Gunst der Stunde und kurbelt die Vermarktungsmaschinerie an.

Album und Film

Erst einmal gibt es von kommender Woche an ein Album mit den klassischen Musikstücken, zu denen die junge Studentin sich in den Büchern von ihrem reichen Liebhaber verhauen lässt. Die Filmrechte sind schon für Millionen vergeben. Angekündigt ist außerdem eine Serie von Kleidung. Wer sich unter der versprochenen Unterwäsche im „Shades of Grey“-Stil lieber nichts vorstellen möchte, kann angeblich auch Kapuzenpullis oder T-Shirts kaufen, wenn es soweit ist.

Soll man Leonard glauben, wenn sie sagt, dass sie selber noch immer völlig baff ist? Dass die Millionen für sie, ihren Ehemann und die zwei Söhne im Teenager-Alter bisher keine allzu große Veränderungen gebracht haben - außer dem neuen Volkswagen, der den alten Honda ersetzt? Ist das Bild der vom Erfolg überrollten Mit-Vierzigerin, die sich nur selten in der Öffentlichkeit zeigt und diskret unter Pseudonym schreibt, pures Marketing, oder tatsächlich wahr?

So wie Leonard bei der Vorstellung des Klassik-Albums zu ihren Büchern auf der Dachterrasse eines trendigen Londoner Hotels sitzt, umringt von schicken jungen Frauen mit Highheels und Designer-Taschen, nimmt man ihr irgendwie ab, dass sie verblüfft ist. Die fülligen Proportionen im knappen lila Kleid entschärft sie mit einer Strickjacke. Spitzen-Pumps am Fuß, die Lesebrille in den Haaren - wie im Buch ein Mix aus sexy und brav. Sie wippt nervös auf dem Stuhl und wirkt eigentlich ziemlich mütterlich-sympathisch.

E.L. James: „Erleichtert, zu sehen, dass ich nicht ganz so furchtbar pervers bin“

Auf die Frage, wie sie sich erklärt, dass Massen von Frauen auf der ganzen Welt sich für die Unterwerfungs-Phantasien ihrer Protagonistin begeistern, sagt sie schulterzuckend: „Ich habe keine Ahnung. Es ist bizarr.“ Sie habe nie erwartet, dass ihre Geschichten so gut ankommen. „Es war allerdings eine Erleichterung, zu sehen, dass auch andere es mögen, und ich offenbar nicht so ganz furchtbar pervers bin.“ Schüchternes Kichern im Publikum.

Von Analysen, dass sich Frauen im Zeitalter von Post-Feminismus und wachsender Chancengleichheit wieder von der Unterwerfung durch einen Mann angezogen fühlen, oder zumindest einen Versorger wollen, hält sie nichts. „Es geht um die Liebesgeschichte. Frauen lesen gerne Liebesgeschichten. Und die Beziehung zwischen den beiden entwickelt sich, erlebt eine Evolution.“

Ein Phänomen unserer Zeit ist „Shades of Grey“ aber auch deshalb, weil es so vor wenigen Jahren noch gar nicht hätte auftauchen können. Eigentlich schrieb Leonard nur aus Spaß. Nachdem sie die „Twilight“-Vampirromane von US-Autorin Stephenie Meyer verschlungen hatte, erfand sie Fortsetzungsgeschichten davon. Diese brachte sie auf einer Fan-Seite im Internet heraus, als sogenannte Fanfiction. Dort kamen sie so gut an und wurden mit der Zeit so viel schärfer, dass sie sich entschloss, sie herunterzunehmen und als Buch herauszubringen.

Bücher über das Netz und durch Weitergeben bekannt

Der kleine australische Verlag hatte kaum Geld für Marketing, und so wurden die Bücher über das Netz und durch Weitergeben bekannt. Eine wichtige Rolle spielten dabei E-Books: Weil Dank der elektronischen Variante niemand sehen konnte, was Frau da gerade in der U-Bahn liest, trauten sich wohl mehr Leserinnen. Und noch etwas früher nicht Denkbares kam hinzu: Obwohl die Bücher in Seattle spielen, war Leonard selber noch nie da. „Ich habe das alles auf Google-Street-View recherchiert und bin dort alle Wege abgelaufen. Es ist verblüffend, was man alles entdeckt.“

Ihre Sprache wird kritisiert, ihr Umgang mit dem Thema auch. Mit Vorwürfen der Geschmacksverirrung allerdings kann sie ganz gut umgehen, hat das jahrelang geübt. „Ich bin früher selber jeden Morgen mit der Bahn in die Stadt gefahren und habe dabei Liebesgeschichten gelesen. Auf den Buchdeckeln waren damals oft halbnackte Frauen, denen die Kleider von den Schultern fielen, und muskulöse Männer.“ Selbst ihr war das manchmal so peinlich, dass sie den Deckel umklappte. Heute sei es für die Fans solcher Bücher einfacher: „Elektronische Bücher sind eine echte Befreiung für die Leute. Jeder kann lesen, was er will.“