Riesige „Brandmauer“ gegen Krise: EZB kauft unbegrenzt Anleihen von Krisen-Staaten auf
„Die Notenbank wird alles tun, um den Euro zu erhalten“, bekräftigt EZB-Chef Draghi. Die EZB will nun kriselnden Euro-Staaten mit unbegrenzten Anleihekäufen unter die Arme greifen. Diese müssen sich aber der strikten Kontrolle der Euro-Rettungsfonds unterwerfen.
Frankfurt – Die Europäische Zentralbank (EZB) packt im Kampf um den Euro das ganz große Geschütz aus und bricht endgültig mit der Tradition der Notenbbank. Um das Funktionieren ihrer Geldpolitik in allen 17 Euro-Ländern zu garantieren, werde die EZB unter bestimmten Bedingungen an den Finanzmärkten unbegrenzt Staatsanleihen von Mitgliedsländern der Währungsunion kaufen, sagte EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag nach der Sitzung des EZB-Rats in Frankfurt.
Draghi sprach von einem „effektiven Schutzschild“ für die Euro-Zone gegen die Stürme an den Märkten. Die EZB werde tun, „was immer nötig ist“, um den Euro zu retten. Der Wechselkurs der Gemeinschaftswährung zog deutlich an, am Aktienmarkt legte der Dax kräftig zu, und am Rentenmarkt fielen die Zinsen für spanische und italienische Anleihen deutlich. Den Leitzins beließ die EZB unverändert bei 0,75 Prozent.
„Notenbank kann politisch nötige Reformen nicht ersetzen“
Erster Kandidat für die Unterstützung per Notenpresse aus Frankfurt könnte Spanien sein. Dessen Regierungschef Mariano Rajoy erklärte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Madrid, er könne noch nicht sagen, ob sein Land Hilfe in Anspruch nehmen werde. Er habe die Beschlüsse des EZB-Rats noch nicht abschließend prüfen können. Merkel betonte, die EZB handele „im Rahmen ihres Mandats“. Wie auch FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler sagte die Kanzlerin, dass die Aktionen der Notenbank politisch nötige Reformen nicht ersetzen könnten. Dies erklärte auch EZB-Präsident Draghi im Frankfurter Euro Tower nach dem womöglich wichtigsten Treffen seit Beginn der Währungsunion und spielte den Ball zur Politik zurück.
Unter Rettungsschirm schlüpfen
Wichtigste Bedingung für ein Eingreifen der EZB sei, dass ein Land, dessen Anleihen gekauft würden, zuvor unter den Euro-Rettungsschirm geschlüpft sei, betonte der Italiener. Dies sei nötig, um sicherzustellen, dass die Interventionen an Bedingungen, vor allem eine Sanierung der Staatsfinanzen, geknüpft sei. Der Internationale Währungsfonds (IWF) könne dabei helfen, dass die Bedingungen auch erfüllt würden, falls er dies wolle, sagte der EZB-Chef. IWF-Chefin Christine Lagarde lobte den Kurs der EZB. Der Fonds werde die Notenbank im Rahmen seines Regelwerkes dabei unterstützen.
Der Euro-Rettungsschirm ESM, dessen Inkrafttreten entscheidend von dem kommende Woche anstehenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts abhängt, könne dann direkt Anleihen angeschlagener Länder kaufen, die EZB wie gesetzlich erlaubt am Sekundärmarkt. Die Notenbank will sich auf Bonds kurzer Laufzeiten bis zu drei Jahren beschränken und verzichtet auf ihren bevorrechtigten Gläubigerstatus bei einer Umschuldung eines Landes, dessen Anleihen sie hält. Das im Zuge der Aktion geschaffene Geld würde über Gegengeschäfte wieder aus dem Finanzsystem abgezogen, versicherte Draghi. Gestoppt würden die Käufe, sollte das damit verbundene Ziel erreicht sein oder ein Land die Auflagen nicht erfüllen. Details, etwa angepeilte Obergrenzen für Zinsen, nannte Draghi nicht.
Beschluss nicht einstimmig
Erwartungsgemäß erklärte der Italiener vor der Presse, dass die Entscheidung des EZB-Rats nicht einstimmig gefallen war. „Es gab eine abweichende Meinung.“ Der deutsche Bundesbank-Chef Jens Weidmann hatte das geplante Anleiheprogramm bereits vor der Sitzung des Rats scharf kritisiert und angeblich intern sogar mit Rücktritt gedroht. Ein Sprecher der Bundesbank erklärte auf Anfrage, Weidmann habe seine Kritik im EZB-Rat bekräftigt. Das Vorgehen der EZB sei „zu nah an einer Staatsfinanzierung durch die Notenpresse. Die Geldpolitik läuft damit Gefahr, in das Schlepptau der Fiskalpolitik zu geraten. Ihre Fähigkeit für Geldwertstabilität im Euroraum zu sorgen, darf durch die Interventionen nicht gefährdet werden“, sagte der Sprecher. „Wenn das beschlossene Programm dazu führt, dass die notwendigen Reformen verschleppt werden, würde das Vertrauen in die Fähigkeit der Politik zur Krisenlösung weiter untergraben.“
Da es laut Draghi nur eine Gegenstimme gab, ist Weidmann und damit die einst so mächtige Bundesbank noch isolierter im EZB-Rat als von vielen Analysten erwartet. Selbst sonst an der Seite Deutschland stehende Länder wie Luxemburg, die Niederlande oder Finnland, verweigerten Weidmann die Gefolgschaft im Streit mit der EZB. Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker sagte, die Ratssitzung selbst sei friedlich verlaufen. Auf die Frage, ob es bei der Sitzung wie von ihm vorher vermutet Ärger gegeben habe, wiegelte der luxemburgische Ministerpräsident ab: „Nein, überhaupt nicht.“
„Staatsfinanzierung nicht Aufgabe der Zentralbank“
Von Ökonomen erhielt Draghi einigen Zuspruch, allerdings warnten zahlreiche Experten auch vor den Risiken der EZB-Aktion. Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon wählte hingegen deutliche Worte der Kritik: „Anleihekäufe sind der falsche Weg, da sie dringend notwendige Sparbemühungen und Strukturänderungen in den öffentlichen Haushalten der hoch verschuldeten Länder unterlaufen und Anreize nehmen. Die Europäische Zentralbank darf nicht in die Rolle einer Ersatzregierung gedrängt werden.“
Rückendeckung bekam Weidmann vom deutschen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bereits vor der Sitzung: „Staatsfinanzierung ist nicht Aufgabe der Zentralbank“, sagte Schäuble im ZDF. Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des DIHK, sagte Reuters, für Reformen und Staatsfinanzierung seien die einzelnen Staaten selbst verantwortlich. „Der Ruf nach der EZB ist verständlich - ihm vorschnell nachzugeben allerdings nicht. Die Politik ist gefordert, den Druck auf die EZB durch Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung in den Ländern zu mildern, damit diese wieder ihren eigentlichen Job machen kann.“
Das sieht auch Thomas Mayer so, Ex-Chefvolkswirt der Deutschen Bank und heutige Berater des Vorstands des größten deutschen Geldhauses: „Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt nicht hier im Eurotower bei der EZB, sondern der liegt in den Hauptstädten der Länder, wo momentan die Reformprogramme durchgeführt werden. Dort muss die Aktion geschehen, dort müssen die Wirtschaften flexibler gemacht werden, dann - und nur dann - führt dieses Interventionsprogramm zum Erfolg. Wenn das nicht passiert, kann Draghi mit seinen Interventionen die Euro-Krise nicht lösen“, sagte er zu Reuters TV. (APA/Reuters/dpa)