„Schutzbauten haben in Tirol ein St. Lorenzen verhindert“
Aufatmen bei der Wildbachverbauung: Die Schutzbauten haben gehalten und Tirol in einem Extremsommer vor einer Katastrophe bewahrt.
Von Christoph Mair
Innsbruck –Irgendwie passt es zunächst nicht zusammen: Am 4. August wälzte sich eine riesige Schlammlawine durch das Dorfzentrum von Virgen und richtete an 30 Häusern und in der Landwirtschaft schwere Schäden an. Dennoch betont Siegfried Sauermoser, dass die Verbauungen am Firschnitzbach „perfekt funktioniert“ und ihren Zweck erfüllt haben.
Verkennt der Chef der Wildbach- und Lawinenverbauung in Tirol die Lage? Ganz im Gegenteil, sagt Sauermoser. Denn ohne die Schutzbauten wäre es in Virgen zu einer Katastrophe wie in St. Lorenzen gekommen, ist der Experte überzeugt. In der steirischen Gemeinde zerstörte eine Mure rund 70 Gebäude. Bei den Unwettern in der Steiermark waren auch Tote zu beklagen. „Das wäre auch bei uns das klassische Jahrhundertereignis gewesen“, betont Sauermoser. Zerstörte Orte und womöglich mehrere Tote. „Denn es war heuer durchaus ein extremer Sommer mit den Gewittern und heftigen Niederschlägen.“ Doch die Verbauungen der Wildwasser in Tirol hätten sich bewährt und Schlimmeres verhindert – nicht nur in Virgen. Der WLV-Chef kennt auch andere Beispiele, die heuer zwar nicht derart dramatisch die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, in ihrer Funktion aber nicht minder wichtig gewesen seien: Ein Hochwasserrückhaltebecken am Schönachbach in Gerlos habe verhindert, dass der Ort überflutet wurde. „Beim Marendebach in Gries im Sellrain würden ohne Geschiebebecken 15.000 Kubikmeter Geröll auf der Straße liegen“, bilanziert Sauermoser. In der Farst-Rinne bei Umhausen im Ötztal seien es gar 40.000 Kubikmeter, 4000 Lkw-Ladungen wohlgemerkt. Das aktuellste Beispiel: Am Stubenbach, der bei den Unwettern 2005 eine Schneise der Verwüstung durch Pfunds zog, kam es nach einem Erdrutsch am Mittwochabend zu einer gefährlichen Situation. Doch die neuen Verbauungen, an denen immer noch gearbeitet wird, haben bereits ihre Wirkung gezeigt.
Warum gibt es dennoch derart große Schäden in Virgen? „Die Verbauung ist sicher nicht überdimensioniert“, gesteht Sauermoser ein. Für die Dimensionierung der Bauwerke gelte allgemein ein Ereignis, wie es alle 150 Jahre theoretisch vorkomme. In Virgen habe es sich diesmal allerdings um ein „300-jähriges“ Ereignis gehandelt, erklärt Sauermoser mit Verweis auf 300 Jahre alte Häuser entlang des Gerinnes, die dieses Mal ohne Verbauung zerstört worden wären. „Obwohl das Ereignis diese Dimension hatte, wurde das meiste Geschiebe entweder im Becken aufgefangen oder zumindest weitgehend schadlos durch das Dorf geleitet“, bekräftigt Sauermoser. Die Verbauungen auf solche Ausnahmeereignisse auszulegen, sei absolut unwirtschaftlich. Und die absolute Sicherheit sei in einem Berggebiet wie Tirol ohnehin nie zu erreichen.
Die WLV betreut im Land Tausende Bauwerke, einige davon stammen aus der Zwischenkriegszeit und sind sanierungsbedürftig. Gerade in diesem Bereich habe die WLV in den kommenden Jahren verstärkten Handlungsbedarf, stellt der Tiroler Sektionsleiter fest. Ein alle Bauwerke umfassender Kataster zur systematischen Qualitätssicherung werde gerade erstellt. Ob in Zeiten allgemeinen Sparens, von dem auch die WLV betroffen ist (siehe Seite 6), auch das Geld für Sanierungen vorhanden sein wird, beantwortet der Wildbach-Chef klar: „Das Geld muss es geben, weil der Status der Besiedlung nur durch diese Schutz- bauten möglich ist.“
Einen „großen Schritt Richtung mehr Sicherheit“ sieht Sauermoser auch durch bessere Warnungen an Bürgermeister und Feuerwehrkommandanten erreicht. Nach seinem Vorschlag eines Murenwarndienstes (die TT berichtete) sei nach einem runden Tisch beim Land ein Modell von Wetterwarnungen für die Gemeinden durch die ZAMG auf Schiene. „Man kann diese meteorologischen Ereignisse gut vorhersagen“, betont Tirols WLV-Chef. Bereits im Winter soll es erste Schulungen für die lokal Verantwortlichen geben. Eine Herausforderung für die Zukunft sei zudem die Einbeziehung von immer mehr Daten (z. B. Bodendurchfeuchtung) in diese Warnungen.