„Wir sind noch immer mit dem 11. September 2001 beschäftigt“
Eine führende New Yorker Gerichtsmedizinerin ist zu Gast in Tirol. Und erzählt, warum sie noch immer der 11. September 2001 beschäftigt.
Von Thomas Hörmann
Innsbruck –250 Teilnehmer aus 43 Staaten: Der mehrtägige Kongress „DNA in Forensics 2012“ hat zahlreiche Gerichtsmediziner und Genforscher nach Innsbruck gelockt. Auch Mechthild Prinz, deutschstämmige Direktorin der forensischen Biologie, einer Abteilung der New Yorker Gerichtsmedizin. Die 53-Jährige, die seit 1993 in Big Apple lebt, arbeitet pro Jahr nicht nur an 500 Mordfällen, sie ist auch noch immer mit dem 11. September 2001 beschäftigt.
„Ja, das stimmt, wir sind tatsächlich noch immer dabei, Leichenteile zu identifizieren und den Opfern zuzuordnen“, sagt die Gerichtsmedizinerin. Eine Sisyphus-Aufgabe – erst 2006, fünf Jahre nach der Terrorkatastrophe, wurden auf dem Dach der Deutschen Bank 22.000 menschliche Überreste gefunden. „Das Dach ist mit Kieselsteinen bedeckt, die Knochenstücke, die selten größer waren, waren daher nur schwer zu entdecken“, so Prinz.
Wie die Gerichtsmedizinerin und ihr 170-köpfiges Team herausfanden, handelt es bei den Knochensplittern um die Überreste der Passagiere von einem der beiden Flugzeuge, die von den Al-Kaida-Terroristen ins World Trade Center gesteuert wurden.
Da noch immer Leichenteile gefunden werden, sind in fast alle Bauvorhaben rund um den Ground Zero Anthropologen miteingebunden. Wissenschafter also, die beispielsweise menschliche Knochensplitter erkennen können.
Die Hauptaufgabe von Prinz ist allerdings die genetische Erfassung des kriminellen Alltags in der Acht-Millionen-Metropole. Ebenfalls – zumindest für österreichische Verhältnisse – eine Mammutaufgabe: Allein im Vorjahr wurden in New York 515 Menschen ermordet (Tirol: durchschnittlich drei Mordfälle pro Jahr). Dazu kommen 20.000 Raubüberfälle und 1400 Vergewaltigungen. Verbrechenskategorien, für deren Aufklärung DNA-Beweise wichtig sind. Und diese Beweise liefern Prinz und ihr Team durch Analysen und Vergleiche genetischer Spuren.
Noch vor 20 Jahren hätte die deutschstämmige Gerichtsmedizinerin wesentlich mehr zu tun gehabt. Damals verzeichnete die New Yorker Polizei jährlich rund 2000 Mordfälle.
Dass Gerichtsmediziner und Tatort-Spezialisten in den Vereinigten Staaten – wie von der Krimiserie CSI New York vorgegaukelt – Mordfälle von den Ermittlungen bis zur Festnahme im Alleingang klären, entlarvt Prinz als Märchen. „In New York gibt‘s zwischen Polizei und Gerichtsmedizinern ebenso eine Arbeitsteilung wie in Europa.“