Folk für Fortgeschrittene

„Tempest“, Bob Dylans 35. Studioalbum, ist eine beschwingte Folk- und Bluesplatte mit außergewöhnlich lyrischen Songs.

Von Sabine Theiner

Innsbruck –Bob Dylan muss niemandem mehr etwas beweisen, das hat er längst erledigt. Er ist einer der ganz Großen im Musikzirkus – für viele der Größte. Der exzentrische Musiker, Poet und Maler aus Duluth, Minnesota, ist jetzt 71 Jahre alt und schenkt seinen Fans ein unglaublich starkes Alterswerk: „Tempest“.

Für seine lyrischen und poetischen Texte ist er bekannt und wurde sogar als Anwärter für den Literatur-Nobelpreis gehandelt. Sein außergewöhnliches dichterisches Talent kommt natürlich auch in seinem neuen Werk zum Tragen. Der Titelsong ist ein 14-minütiges vertontes Gedicht über den Untergang der Titanic, der sich heuer im April zum 100. Mal jährte. Das Thema ist zwar in der Popmusik nicht neu, aber Dylan besitzt so viel Verve, dass gar Leonardo di Caprio in seinem Song auftaucht, quasi als Hommage an den Schauspieler. Es gibt sogar schon eine frühere Verbindung von Bob Dylan zur „Titanic“, sie stammt allerdings aus einer Zeit, als es den Film noch nicht gab: Im Dylan-Hit „Like A Rolling Stone“ von 1965 heißt es: „When you got nothin’, you got nothin’ to lose.“ Diese Worte sagt Leonardo Di Caprio als Jack Dawson am Anfang des James-Cameron-Films.

In „Tempest“ geht es dem Künstler nicht um das, was wirklich auf der Titanic passiert ist, sondern um das, was hätte sein können. Dylan lässt seinen Gedanken freien Lauf und packt sie in die für ihn typische bildhafte Sprache, die, reich an Metaphern, durchdringend und aufwühlend ist.

Die Musik dazu ist, auch ganz typisch, unaufgeregt und zeitlos. Sie hat etwas Großmütiges. Zwar krächzt Dylan auf seinem 35. Studioalbum wie ein alter Rabe, aber gerade in „Duquesne Whistle“ oder „Scarelt Town“ hat das etwas unglaublich Charmantes, was durch die beschwingt folkige Untermalung noch verstärkt wird. Er klingt nach Cowboy, man stelle ihn sich mit einer Knarre an der Hüfte vor. Den Hut hat er ja schon mal.

Gerade der etwas schiefe Gesang ist es ja, der Fans und Kritiker gleichermaßen beschäftigt: Die einen lieben dieses Timbre, das mal rau und krächzend, mal nasal und quengelnd klingt. Die anderen finden diese Stimme unecht und verstellt, künstlich und blasiert. Immer aber klingt Dylan unverkennbar nach sich selbst, so, wie es alle großen Sänger tun: Tom Waits, Leonard Cohen, David Bowie, Lou Reed – das sind die anderen ikonischen Gesichter im Mount Rushmore der Popmusik.

Wegen seiner eigentümlichen Stimme wurden viele seiner Songs erst in Coverversionen richtig bekannt: „All Along The Watchtower“ interpretierten U2 viel massenkompatibler, auch Pearl Jam und Eric Clapton versuchten sich daran. The Byrds coverten das legendäre „Mr. Tambou­rine Man“ und benannten ihr Debüt von 1965 danach. Ironischerweise erschien Dylans Album „Bringing It All Back Home“, auf dem das Original drauf ist, fast zeitgleich.

Bob Dylan hat mit seiner Musik, seiner Lyrik und seinem Habitus Generationen beeinflusst. Sein wacher Blick auf die Welt und sein liebendes Herz sind wohl der Grund für die Bewunderung, die ihm zuteilwird.