Literatur

Vierzehn Lehrstücke über Geschwätzigkeit

In seinem Erzählband „Unbefugtes Betreten“ lässt Julian Barnes seine Figuren über vieles plaudern – und das Wesentliche totschweigen.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –„Pulse“, so überschrieb Julian Barnes nicht nur die letzte Erzählung seiner jetzt auch auf Deutsch erschienenen Sammlung „Unbefugtes Betreten“, sondern im Original trägt auch das Buch diesen Titel. Dass sich sein deutscher Verlag für einen anderen Namen entschieden hat, war wohl nicht ganz uneigennützig: „Unbefugtes Betreten“, das klingt nach Geheimnisverrat und Grenzüberschreitung, vor allem aber klingt das nach Auflagensteigerung. Und führt zunächst einmal ordentlich in die Irre. Denn Reißerisches sucht man in Barnes‘ Texten vergebens. Vielmehr ist es das konsequente Fehlen von Effektheischerei und Erzählmätzchen, die den Reiz der vierzehn in einem Band versammelten Geschichten ausmachen.

Dass Barnes mit diesem marktschreierischen Gebaren von Verlagen durchaus vertraut ist, beweist er mit der Erzählung „Mit John Updike schlafen“. Natürlich geht es darin nicht um den Beischlaf mit dem amerikanischen Bestsellerautor. Dieser taucht im Grunde genommen gar nicht auf. Zwei in die Jahre gekommene Autorinnen unterhalten sich darüber, wie sie zurück auf die Erfolgsspur kommen könnten und da wäre ein Enthüllungsbuch samt spektakulärem Titel der naheliegendste Versuch. Wie in allen Geschichten wechselt Barnes auch in der „Updike“-Episode zwischen Ironie und Melancholie. Der Text ist Satire auf den Literaturbetrieb und die Schilderung zweier Menschen, die sich zwar nicht leiden können, aber aufeinander angewiesen sind.

In seiner Gesamtheit ist „Unbefugtes Betreten“ ein heiteres Buch über die Angst vor und den Kampf gegen Einsamkeit. Barnes hat es – wie schon sein bewegendes Essay über den Tod „Nichts, wovor man sich fürchten müsste“ – seiner 2008 verstorbenen Frau Patricia gewidmet. Aber anders als der Autor selbst, der über seine Trauerarbeit ungeschönt nachdachte, sind seine Figuren meisterhafte Schwätzer, die Unangenehmem durch saturierten Smalltalk aus dem Weg gehen. So gesehen sind alle Erzählungen des Bandes, auch jene, die in ferner Vergangenheit spielen, präzise Studien über Geschwätzigkeit als rhetorische Nebelkerzen und Lehrstücke über die unselige Annahme, Probleme könnte man totschweigen, wenn man nur sonst genug redet.