Ästhetische Phänomene mit esoterischer Deutung
Ron Fricke perfektioniert in „Samsara“ mit Sphärenmusik und assoziativen Bildmontagen die Kunst der Meditation.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Godfrey Reggios Dokumentarfilm „Koyaanisqatsi“ wurde mit Attraktionen wie Zeitraffer und Superzeitlupe und dem Soundtrack von Philip Glass 1983 ein Erfolg im US-Undergroundkino. Dessen gerühmte Klassiker waren jedoch Leni Riefenstahls Dokumentarfilme über die Olympischen Spiele von 1936 und „Triumph des Willens“ (1934). Amerikanische und britische Filmemacher berufen sich seither explizit auf das Werk der politisch fragwürdigen, aber künstlerisch bahnbrechenden Pionierin des Dokumentarfilms.
Eindeutige Verweise auf Riefenstahl finden sich etwa in Ridley Scotts „Gladiator“ oder in der „Star Wars“-Serie, deren Massenszenen Ron Fricke fotografiert hat. Fricke war vor 30 Jahren auch Koautor und Kameramann von „Koyaanisqatsi“. Seither dreht er aufwändige Werbefilme für Autokonzerne oder zieht mit einem 70-mm-Kameraequipment durch die Welt, um diese mit Bildern von ihrer Zerstörung vor den Aktionären zu retten. Damit auch seine kommerzielle Arbeit politisch korrekt bleibt, zeigt er im Regenwald einen Jeep, der auf jeden Frosch reagiert.
Die eindringlichste Metapher für Vergänglichkeit und Schönheit ist die Herstellung eines Bildes aus buntem Sand, eines Mandala, das im Augenblick seiner Vollkommenheit zerstört wird. Mit einem Entwurf dieses buddhistischen Zeitvertreibs beginnt Ron Frickes „Samsara“.
Fricke verknüpft die Geburt eines Kindes mit der Entstehung der Welt, deren Schönheit sich in der Abwesenheit der Menschen offenbart. Aber es dauert nicht lange, Frickes bevorzugtes Stilmittel ist der Zeitraffer, bis sich Erde und Mensch in der Pubertät und damit am Abgrund befinden. Es sind Menschenmassen, die den stärksten Eindruck hinterlassen. Fricke montiert Millionen Pilger in Mekka, die sich um den schwarzen Stein drehen, mit einem gigantischen Hühnerstall, in dem die Tiere von einer Kehrmaschine eingefangen werden, um auf einem Fließband zu enden. Arbeiter, die in militärischen Formationen auftreten, filetieren, verschweißen und entsorgen die Hühner im Zeitraffer. Als nach dem schnellen Verzehr wieder Ruhe einkehrt, zeichnet flink ein Chirurg auf den Bauch eines dicken Menschen eine Operationslinie. Wer diese Bilder gesehen hat, wird nie wieder zu einem Huhn greifen.
Lustiger ist es im Gefängnis. Tausende Gefangene versammeln sich, um sich zu Technomusik der Körperertüchtigung hinzugeben. Die Rettung der Welt liegt im letzten Bild: ein Kloster in Tibet.
Nach zwei Stunden Filmpuzzle wird das Mandala zerstört, zwischen Entstehung und Vernichtung waren zweifellos die schönsten Kinobilder des Jahres zu sehen. Sphärenmusik, Engelschöre und Orgelmusik verkünden Erhabenheit und vertreiben den Rest jedes emotionalen Widerstands. Kein gesprochener Kommentar verschmutzt die Montage. Der Konflikt zwischen ästhetischem Phänomen und esoterischer Bedeutung führt Verwirrte zum Meditieren.