Auch der Legionär hat es schwer
Erstmals wird ein ÖFB-Team aus elf Legionären gebildet. Aber auch die müssen morgen gegen Deutschland kollektiv über ihre Grenzen gehen, um eine 26-jährige Sieglosigkeit im „Bruderduell“ zu beenden.
Von Hubert Winklbauer
Wien –Es gibt sie offensichtlich, die Fußballübungen, die fast als Staatsgeheimnis gehandelt werden. Vor dem morgigen WM-Quali-Hit gegen die Deutschen (20.15, ORF eins)wurde das Ernst-Happel-Stadion gestern wieder zu einem Hochsicherheitstrakt umfunktioniert. Der „Feind“ würde mitschauen, wenn man ihn ließe. Dieser heißt Deutschland. Und dessen Fußballverband hat Spione nach Österreich geschickt. Aber die konnten höchstens vom Riesenrad im Prater mit dem Fernrohr aufs Rasenviereck zu den übenden ÖFB-Kickern des Happel-Stadions „gucken“.
Teamchef Koller ließ üben, wie die DFB-Elf zu besiegen ist. Nicht mehr. Und nicht weniger. Er hatte beim Video-Studium der Nr. 2 der FIFA-Weltrangliste einige, wenn auch marginale Schwachstellen erkannt. Natürlich nur in Nuancen. Aber immerhin. Es sind ein paar so Ahnungen von einer eventuellen Fehleranfälligkeit der deutschen Defensive. Auch bei Standardsituationen in den jüngsten Spielen gegen Italien (1:2), Argentinien (1:3) und sogar beim jüngsten 3:0-Sieg über Färöer hat es die gegeben.
Möglicherweise geht es da um ein paar Zentimeter, um ein paar Sekundenbruchteile. Diese Szenen wurden in den letzten Trainings simuliert. Und dazu wurden alle aus dem Stadion ausgeschlossen, die nicht zum Team gehören. Teamchef Koller hat seine Kicker zu Geheimnisträgern erhoben.
Es gibt kleine, verborgene Defekte in dem so perfekt scheinenden, komplex organisierten System der Deutschen. Die sollen die DFB-Elf jetzt geschichtsträchtig ins Straucheln bringen. Und das soll einer ÖFB-Elf gelingen, die geschichtsträchtig auftritt: Noch nie hat es eine rotweißrote Nationalmannschaft mit elf Legionären in der Startaufstellung gegeben. Motto: „Wer sich in den stärkeren Ligen im Ausland durchsetzt, bringt Erfahrung mit, die dem Team hilft. Insgesamt stehen im 23-Mann-Kader derzeit (mit dem nach Moskau zu Dynamo wechselnden Jakob Jantscher) 15 Legionäre.
Damit ist klar: Wer sich im Team etablieren will und noch in Österreich spielt, muss weg! Einer wie Ex-Teamspieler Martin Stranzl bedauerte in einem Gespräch mit der Tiroler Tageszeitung, dass er erst als 17-Jähriger Österreich verlassen hat: „Wäre ich früher gegangen, wäre es für mich besser gewesen.“
Pogatetz sieht es ähnlich: „Du brauchst den tagtäglichen Konkurrenzkampf mit den Besten, wenn du besser werden willst.
Von Spielern, denen das Dasein als Hätschelkind in der rotweißroten Bundesliga genügt, hat Koller das Team befreit.
Dienstag spielen die, die bewiesen haben, dass sie die Konkurrenz in einem fremden Land angenommen und klubintern gewonnen haben.
Beim letzten Aufeinandertreffen mit den Deutschen, dem 2:6 in der Schalke-Arena, waren mit Gratzei, Schiemer, Klein noch drei echte „Einheimische“ dabei. Royer war erst kurz davor zu Hannover gewechselt. Aber nur an denen ist es nicht gelegen, dass die Löw-Truppe nach 28 Minuten 3:0 (zweimal Özil, einmal Podolski) geführt hat. Aber obwohl es da nach einer extremen Abfuhr für die „Ösis“ ausgesehen hatte, war nach der zwischenzeitlichen Resultatskosmetik durch die Treffer von Arnautovic und Harnik auf 2:4 ersichtlich, dass die DFB-Elf nicht frei von Nervenflattern ist.
Die DFB-Elf steht morgen unter Druck. Schon ein Remis würde sie einer Verhöhnungskampagne aussetzen. Das weiß Löw, das wissen die Kicker. Leicht genommen wird die ÖFB-Elf nicht. Die hat übrigens zuletzt vor 26 Jahren gewonnen. Und zwar 4:1 bei der Neueröffnung des Happel-Stadions. Es war einer von gerade mal acht Siegen in 37 Spielen bei 23 Niederlagen.