Syrische Flüchtlinge fürchten den Winter
In Saatari ist man nicht gern. Mitten in der Wüste leben hier Zehntausende Flüchtlinge aus Syrien. Deutschlands Außenminister Westerwelle verspricht Hilfe, damit das Lager winterfest gemacht wird – auch eine Art zu sagen, dass auf ein schnelles Ende Assads kaum noch jemand hofft.
Von Christoph Sator
Saatari – Auf den meisten Karten sucht man Saatari noch vergebens. Kein Wunder: Vor eineinhalb Monaten war das hier noch Niemandsland zwischen Jordanien und Syrien, ein furchtbar ödes Stück Erde, über das die Sandstürme hinwegfegen. Heute leben in Saatari 30.000 Menschen – alles Flüchtlinge aus Syrien, die Zuflucht gesucht haben vor der Gewalt, die in ihrer Heimat gar kein Ende mehr nehmen will. Schlimmer als dort kann es hier in der Wüste nicht sein.
Bashar war einer der ersten von ihnen. Mit seiner Frau und den fünf Kindern kam er Anfang August – aus Aleppo, der Stadt, in der sich Anhänger und Gegner des Machthabers, der den gleichen Vornamen trägt wie er, besonders schlimm bekriegten. Der jüngste Sohn Ahmed war damals gerade einmal dreieinhalb Wochen alt. „Wir haben das einfach nicht mehr ausgehalten“, sagt der bärtige Mann in den verdreckten Kleidern. Seinen Nachnamen behält er lieber für sich.
Seither lebt die Familie in einem der mehreren tausend weißen Zelte, die hier auf 25 Quadratkilometern Wüste hochgezogen wurden, auch mit Hilfe des Technischen Hilfswerks (THW). Wie viele es inzwischen sind, weiß keiner genau. „Jeden Tag bekommen etwa 250 Zelte und 30 Toiletten hinzu“, sagt THW-Mann Peter Kussmaul. Nur wer viel Glück hat, findet Unterkunft in einem Container.
Die Hälfte der Flüchtlinge sind Kinder
Jeder Neuankömmling bekommt das Gleiche: eine Matratze, eine Decke, einen Eimer, einen Wasserkanister und einen Gebetsteppich. Dazu einen Karton mit dem Allernötigsten wie Seife und Zahnpasta. Pro Kopf gibt es 50 Liter Wasser pro Tag. Auch die Essensversorgung ist einigermaßen geregelt. Aber sonst bleiben die Flüchtlinge – die Hälfte davon Kinder – sich selbst überlassen.
Mehrfach gab es schon Krawalle. Mehrere hundert Flüchtlinge wurden deshalb dazu gebracht, „freiwillig“ nach Syrien zurückzukehren. Man hat eine Vorstellung, was das bedeuten kann. Die größte Sorge ist jedoch, dass der Flüchtlingsstrom kein Ende nimmt. Bis zum Jahresende soll das Lager bis zu 80.000 Menschen Platz bieten. „Logistisch ist das zu packen“, sagt Andrew Harper vom UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR). Aber welche Zustände dann herrschen, will sich der Australier lieber nicht vorstellen.
Hinzu kommt, dass nun auch in Jordanien die Temperaturen langsam wieder sinken. Noch kühlt es nachts nicht unter 15 Grad ab. Aber in einigen Wochen geht es auch in der Wüste an die Null-Grad-Grenze. Deshalb soll das Lager nun „winterfest“ gemacht werden, mit Warmwasser-Stellen, Öfen und Zelten mit dickeren Planen. „Uns läuft die Zeit davon“, klagt Harper. „Und das Geld geht uns aus.“
Deutschland verspricht Westerwelle zwei Millionen Euro zusätzlich
Die Aufforderung richtet sich ziemlich direkt an den deutschen Außenminister Guido Westerwelle, der am Samstag gemeinsam mit dem jordanischen Kollegen Nasser Judeh für eine Stunde zu Besuch ist. Westerwelle kommt dann auch recht schnell zur Sache. Nach einem Dank an Jordanien, das trotz eigener Probleme insgesamt schon mehr als 100.000 Syrer aufgenommen hat, verspricht Westerwelle zwei Millionen Euro zusätzlich für das Lager. Alles in allem summiert sich die deutsche Hilfe für Syrien-Flüchtlinge nun auf 24 Millionen.
Westerwelle spricht ebenfalls davon, dass das Lager „winterfest“ gemacht werden muss – auch eine Art, um zuzugeben, dass man kein baldiges Ende von Machthaber Bashar al-Assad erwartet. „Was wir hier sehen, bewegt das Herz“, sagt Westerwelle noch. „Das sind Schicksale, keine Nummern und Statistiken.“ Und eigentlich will er dann auch schon wieder gehen.
Wäre da nicht ein solches Schicksal in Person: Baschar, der Mann aus Aleppo, hat seinen jüngsten Sohn auf dem Arm und es irgendwie geschafft, an der Entourage der Minister vorbeizukommen. „Mein Kind“, sagt er nur und streckt Westerwelle den kleinen Ahmed entgegen. „Vor drei Wochen hat er fast sechs Kilo gewogen. Jetzt sind es noch drei.“ Die Beinchen, die aus dem Strampelanzug mit Bärenmotiv ragen, sind erschreckend dürr.
Westerwelle muss schlucken, drückt den Syrer zweimal an der Schulter, wünscht Glück. Dann dreht er sich um und geht. Baschar lässt noch ein Foto von sich machen. Dann verschwindet auch er.
Christoph Sator ist Korrespondent der dpa.