Knietief im rosenroten Dilemma
Halblustiger Boulevard 2.0 am Wiener Akademietheater: die Uraufführung von Justine del Cortes Tragikomödie „Der Komet“.
Von Bernadette Lietzow
Wien –Bäumchen, wechsle dich! Dieses alte Reigenspiel scheint für die mexikanisch-deutsche Autorin Justine del Corte eine der Inspirationsquellen ihres am Sonntag im Akademietheater uraufgeführten Stückes „Der Komet“ gewesen zu sein. Kreisen doch die Protagonisten, beschirmt von einem riesenhaften Apfelbaum, in einem ewiglich anmutenden Kreislauf (Stückdauer drei Stunden zwanzig) um ihre jeweilig gefährdete Mitte. Zentralgestalt dieser im gepflegten Genre der bei Film wie Theater wieder äußerst beliebten Familienaufstellung angesiedelten Personenanordnung ist Elisabeth (Sylvie Rohrer). Sie will sich in der Wiederholung glücklicher Tage, konkret in der detailgenauen Nachstellung der eigenen Hochzeit vor zehn Jahren, Erinnerungen schaffen, um „Schönes zu träumen“, wenn sie dereinst tot sein wird. Begleiter ihres Lebens ist der erfolgreiche Transplantationschirurg und selbsterklärte „Satyr“ Arthur (Fabian Krüger), ein etwas angestrengter Auskenner, der, wie sich herausstellen wird, den überwiegend weiblichen Gästen zum Teil hautnah verbunden war und ist.
Verhandeln im ersten Teil die zu „95 Prozent aus Alkohol bestehende“ Nane (exzellent abgeklärt: Barbara Petritsch), die verkrachte Schauspielerin Greta (Corinna Kirchhoff), Elisabeths Schwester Vera (Sabine Haupt), junge Mutter und unglücklich gebunden an den braven Theologen Nick (Peter Knaack), der Sinnsucher Gregor (Martin Reinke) oder die naiv-lebenstolle Anna (Dorothee Hartinger) ihr (Miss-)Geschick, so gerät nach der Pause die Chose im Beisein eines wiedererstandenen Toten (Martin Schwab) in heikle Schieflage: Die ultimative Weißwein-Ekstase endet für Arthur im nahe gelegenen See, mit letalem Ausgang. Davor darf noch allerhand Bewusstes und Halbbewusstes abgesondert werden, mit bedeutungsschwangeren Bezügen zur Shoa, die 68er, schwindende Solidarität und Sigmund Freud.
Das große, existenzielle „Als ob“, begleitet von durchaus gegenwärtigen Ängsten und Zwängen, das del Cortes Stück feiert, dampft in der gemeinsam mit ihrem Lebenspartner, dem Autor und Regisseur Roland Schimmelpfennig, bewerkstelligten Inszenierung ein zur bloßen Behauptung: Im neuen, braven Garten der Lüste (Boschs Gemälde findet breiten Raum im Programmheft) tragen Brüste Namen wie Chantal oder Nancy und ähnlich bescheiden wie Witz und Tiefgründigkeit im „Komet“, bemüht sich auch die Umsetzung leider gar nicht um Doppelbödigkeit oder feine Ironie, die diesen Abend der ausgezeichneten Darsteller über die flachen Wurzeln einer Art Neo-Boulevard erhoben hätten.