Proteste wegen US-Video

Arabischer Winter setzt Obama unter Druck, doch Romney versagt

Die außenpolitische Krise erwischt Präsident Obama kalt. Gerade noch im Umfragehoch gerät er wegen Angriffe auf US-Botschaften in der Arabischen Welt unter Druck. Konkurrent Romney witterte seine Chance, doch sein „Schuss ging nach hinten los“.

Washington - US-Präsident Barack Obama, so schien es noch vor einer Woche, hatte die Wiederwahl schon in der Tasche. In Umfragen zog er seinem ideenlosen Kontrahenten Mitt Romney acht Wochen vor der Wahl davon. Dann plötzlich belagerten wütende Islamisten in Nahost und Afrika die amerikanische Vertretungen und töteten den Botschafter in Libyen. Völlig unerwartet ist die Außenpolitik zum Wahlkampfthema geworden - und brennende US-Flaggen sind keine guten Bilder für den Amtsinhaber. Die Republikaner witterten ihre große Chance, doch ihr Kandidat Romney versagte kläglich.

Die gewaltsamen Proteste gegen ein verunglimpfendes Video über den Propheten Mohammed haben in den USA die Tür für Kritik von rechts weit geöffnet. „Obama dachte so ziemlich, dass er das Thema Außenpolitik für sich abgehakt hat“, meint der Experte Michael Rubin vom konservativen American Enterprise Institute in Washington. Der Präsident brüste sich damit, Amerikas Ansehen in der Welt verbessert zu haben. Doch „die erniedrigenden Angriffe auf US-Botschaften machen es sehr schwierig, Obamas Ansatz nicht als Versagen zu beurteilten.“

Obama ahnt, dass er der diplomatischen Misere bis zur Wahl wohl nicht mehr entkommen kann. Die Lage in der arabischen Welt werde sich nicht wieder schnell beruhigen, sagten Vertreter seiner Regierung am Wochenende in US-Medien. Die USA holen sogar Botschaftspersonal in die schützende Heimat zurück, das wirkt beinahe panisch. „Die unerfreuliche Wahrheit ist, dass der Aufbau von Demokratie in der Region gewaltige Kopfschmerzen in Washington verursacht“, meint der Chefkorrespondent Michael Hirsh vom „National Journal“.

Romneys Schimpftirade

Bisher kann sich der Präsident bei seinem Herausforderer Romney dafür bedanken, zunächst keinen größeren Schaden genommen zu haben. Der Republikaner brachte es fertig, eine Schimpftirade über Obamas Außenpolitik genau um den Zeitpunkt herum abzufeuern, als der Tod des Botschafters Chris Stevens bekannt wurde. Zu den traditionellen Geboten amerikanischen Politik zählt, dass der Präsident nicht von der Opposition kritisiert wird, wenn er im Ausland weilt oder wenn Amerika selbst angegriffen wird. Mitt Romney brach dieses Gebot, als er am Dienstagabend um 22.09 Uhr Ostküstenzeit ein Statement veröffentlichen ließ, das Obamas Regierung „schändliches“ Verhalten in der Krise in Ägypten und Libyen vorwarf.

Romney warf dem Weißen Haus vor, sich nicht von einer Erklärung der US-Botschaft in Kairo distanziert zu haben. Darin bedauern die Diplomaten eine „Verletzung der religiösen Gefühle von Muslimen“ durch den in den USA produzierten Amateurfilm, der den Propheten Mohammed verunglimpft.

Der Film ist Auslöser für eine Welle der Empörung unter zahlreichen Muslimen. In vielen Ländern kam es zu anti-amerikanischen Protesten. Romney warf Obama außerdem vor, Mitgefühl mit den Angreifern zu zeigen. Darüber hinaus sagte er, dass eine Entschuldigung für die Werte der USA nie der richtige Kurs sei. Doch der verbale Schuss gegen Obama ging nach hinten los: Die Botschaft in Kairo hatte die Erklärung bereits vor den tödlichen Angriffen in Libyen veröffentlicht, um die Situation zu deeskalieren.

„Fehlerhaft, aufhetzerisch und beleidigend“

Für die Amerikaner wirkt kaum etwas unpatriotischer als Kritik am Commander-in-Chief mitten im Schockzustand; selbst Parteifreunde schämten sich. „Fehlerhaft, aufhetzerisch und beleidigend“ sei Romneys Aussage gewesen, urteilte der Kolumnist Nicholas Kristof.

Romney wurde für seine Aussagen von allen Seiten heftig kritisiert. Demokraten warfen ihm mit scharfen Formulierungen vor, aus einer Tragödie politisches Kapital schlagen zu wollen. Obama selbst sagte: „Gouverneur Romney scheint eine Tendenz zu haben, zuerst zu schießen und dann zu zielen.“ Der demokratische Senator John Kerry befand: „Romney ist eine sehr traurige Figur.“

Republikaner wenig begeistert

Auch viele von Romneys Parteifreunden waren wenig begeistert vom Vorgehen ihres Kandidaten. Zumindest der Zeitpunkt sei unglücklich gewählt worden, zitierten US-Medien Konservative wie den Kongressabgeordneten Peter King. „Wenn etwas Tragisches passiert und schnell eine Erklärung herausgegeben wird, kann das als politisch motiviert interpretiert werden.“

Peggy Noonan, eine erzkonservative Kolumnistin des „Wall Street Journal“, befand, Romney habe sich mit seinem faktisch falschen Vorstoß „keinen Gefallen getan“; es sei in Krisenzeiten besser zu schweigen. Joe Scarborough, ein TV-Talkshow-Moderator, als früherer republikanischer Kongressabgeordneter und streitbarer Kritiker Präsident Obamas bekannt, ließ wissen, er werde von entsetzten Emails und Anrufen gewählter Republikaner überschwemmt.

Sogar Romneys Vizekandidat Paul Ryan setzte sich mit einer deutlich sachlicheren und versöhnlicheren Note von seinem Chef ab: „Dies ist eine Zeit, Heilung zu suchen. Dies ist eine Zeit, entschlossen zu sein“, zitierte ihn die „Washington Post“.

„Romneys Schuss ging nach hinten los“

Mit seiner Kritik machte Romney die bisher fast völlig von innenpolitischen Fragen beherrschte Außenpolitik zu einem Wahlkampfthema. Unabhängige Experten mutmaßen, dass er eine Chance witterte, sich in Umfragen wieder enger an Obamas Fersen zu heften: Der Präsident hatte seinen Vorsprung vor dem Ex-Gouverneur von Massachusetts nach dem jüngsten Parteitag der Demokraten auf durchschnittlich fünf Prozentpunkte ausbauen können.

„Aber Romneys Schuss ging nach hinten los“, so ein CNN-Kommentator. Ohnehin in Sachen Außenpolitik unbeleckt, habe er seine offensichtliche Achillesferse nur noch stärker entblößt. Der Experte bezog sich dabei unter anderem auf eine Auslandsreise des Republikaners im Sommer, bei der Romney praktisch kein Fettnäpfchen ausgelassen hatte - von Mäkeleien über die Olympia-Organisation der Briten bis hin zum Affront gegen die Palästinenser. (TT.com/dpa, Reuters)