„Deutsch vor Schuleintritt“: Kurz-Vorschlag spaltet die Parteien
Geht es nach Staatssekretär Kurz, sollen in Österreich aufgewachsene Kinder ohne ausreichende Sprachkenntnisse vor Schuleintritt ein Deutsch-Förderjahr, später zugewanderte einen „Crashkurs“ absolvieren. In Tirol laufen bereits seit zwei Jahren entsprechende Pilotprojekte.
Wien
– Die Trennung von Kindern mit Sprachproblemen von ihren gleichaltrigen Schulkollegen entzweit auch die Regierungsparteien. Integrations-Staatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) will, dass künftig Kinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse vor Eintritt ins Regelschulwesen in einem Vorschulsystem zunächst in eigenen Gruppen die Unterrichtssprache erlernen, bevor sie den Unterricht in ihrer Stammklasse besuchen. Unterstützung dafür kommt von FPÖ, BZÖ und Wirtschaftskammer, im Unterrichtsministerium will man über „Gettoklassen“ nicht diskutieren.
Konkret will Kurz, dass in Österreich aufgewachsene Kinder ohne ausreichende Sprachkenntnisse beim Eintritt in die Volksschule zunächst einmal in eigenen Gruppen unterrichtet werden. Diese sollten so durchlässig wie möglich gestaltet sein – Fächer wie Turnen oder Zeichnen könnten so in der eigentlichen „Stammklasse“ absolviert werden. Wer seine Sprachrückstände aufgeholt hat, könne ebenfalls in die „Stammklasse“ wechseln. Wer erst später zuwandert und ins Schulsystem quer einsteigt, soll bei Sprachproblemen mit „Crashkursen“ in Kleingruppen fit gemacht werden.
Parteien zu Vorschlägen uneins
„Wir sind gerne bereit, über alle konstruktiven Vorschläge zu diskutieren, nicht aber über Gettoklassen, wie das die FPÖ und der Herr Staatssekretär fordern“, hieß es aus dem Unterrichtsministerium. Viele Forderungen von Kurz seien überdies bereits umgesetzt oder „sehr undifferenziert“. SPÖ-Bildungssprecher Elmar Mayer wiederum fragte sich in einer Aussendung, warum Kurz erst vor wenigen Monaten der Verlängerung der von ihm nun kritisierten Sprachförderkurse zugestimmt habe.
Unterstützer finden sich dagegen in FPÖ und BZÖ: „Schön, wenn sich die ÖVP mit Verzögerung von ein paar Jahren endlich den Forderungen der FPÖ anschließt“, so FP-Bildungssprecher Walter Rosenkranz. Er erwartet sich auf lange Sicht homogenere Klassengemeinschaften. BZÖ-Chef Josef Bucher will Kurz insofern gleich helfen, indem er dessen Vorschläge als Anträge im Parlament einbringt. Für die Grünen bedeuten die Vorschläge von Kurz dagegen eine „Trennung der SchülerInnen von Kleinkindalter an statt Integration“: „Statt Kinder mit Sprachdefiziten vom ersten Tag ihrer Schullaufbahn an faktisch in ‚Problemklassen‘ zu stecken, braucht es mehr Lehrkräfte in ein und derselben Klasse“, so Integrationssprecherin Alev Korun.
Experte: „Stigmatisierung“
Ebenfalls für „nicht sinnvoll“ hält der Sprachwissenschafter Rudolf De Cillia (Uni Wien) eine „Segregation von Kindern in eigenen Ausländerklassen“. Diese sei „natürlich auch eine Stigmatisierung von Kindern mit anderen Erstsprachen“. Sinnvoller wäre es, mit mehr Lehrkräften neben dem regulären Unterricht auch die deutsche Sprache zu fördern und den Kindern mehr Zeit für den Spracherwerb zu geben. In der Lehrerausbildung bzw. -fortbildung wiederum müsse der Umgang mit mehrsprachigen Klassen stärker in den Mittelpunkt gestellt werden.
Der im Expertenrat für Integration für Bildungsfragen zuständige Leiter des Jüdischen Bildungszentrums Wien, Ilan Knapp, plädiert dagegen für ein Deutsch-Förderjahr als eine Art „Schleuse“ vor dem vollständigen Eintritt in die erste Schulstufe. In dieser Zeit sollten Kinder mit Sprachproblemen aus der Stammklasse herausgenommen werden und etwa im Nebenraum, jedenfalls aber in der Schule Sprachförderung erhalten. Je nach Verbesserung der Sprachkenntnisse könnten sie dann stufenweise immer mehr am Fachunterricht in der Klasse teilnehmen.
Pilotprojekte in Tirol seit Schuljahr 2010/11
Was in Wien für Diskussion sorgt, ist in Tirol bereits seit zwei Jahren in der Testphase. Seit Herbst 2010 läuft in den Volksschulen in Telfs und Wörgl – offenbar erfolgreich – das Pilotprojekt Sprachstartklasse, ähnliche Projekte in Imst, Kufstein und Schwaz folgten.
Die Sprachförderung zielt dabei nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf die Muttersprache ab, da es wissenschaftlich erwiesen ist, dass die Kompetenz der Erstsprache Grundlage für jede neu zu erlernende Sprache ist. In Fächern wie Mathematik, Zeichnen, Werken oder Turnen besuchen die Kinder ihre künftige Klasse. Nach Abschluss der Sprachstartklasse können die Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren in den Regelschulunterricht einsteigen. Das absolvierte Schuljahr wird in die Schulpflicht eingerechnet. Die anfallenden Kosten werden zu gleichen Teilen von den Gemeinden und dem Land Tirol übernommen. (tt.com/APA)