Migration oft mit Naturkatastrophe gleichgesetzt
Medien und Politiker setzen Migration häufig mit Naturkatastrophen gleich. Den Umgang mit diesem Phänomen und wie die Realität aussieht, zeigt eine Studie, die Bettelmigration aus der Südslowakei untersucht.
Graz – „Bettlerflut“, „Einwanderungswelle“ oder „Belagerung“ – Medien und Politiker setzen Migration häufig mit Naturkatastrophen gleich oder verwenden militärische Begriffe. Am Beispiel der Bettelmigration von Menschen aus der Südslowakei in die Steiermark untersucht eine Studie den Umgang von Printmedien mit diesem Phänomen sowie die tatsächliche soziale Praxis. „Das Bedrohungsszenario, das in den Medien konstruiert wird, findet sich in der Realität auf der Straße nicht wieder“, erklärte Barbara Tiefenbacher, Slawistin und Romistin an der Universität Wien im Gespräch mit der APA. Ihre Ergebnisse wird sie im Rahmen der heute, Dienstag, beginnenden 2. Jahrestagung zu Migrations- und Integrationsforschung in Österreich in Wien präsentieren.
Drei bis 30 Euro am Tag
Bis zum Inkrafttreten des Bettelverbots im Mai 2011 kamen Menschen aus der Südslowakei, häufig Roma, im Zwei- bis Drei-Wochen-Rhythmus nach Graz, so Tiefenbacher, die zahlreiche Interviews mit Bettlern durchgeführt hat. In Graz übernachteten sie meist in Notschlafstellen, untertags bettelten sie auf der Straße. Das diente dem schlichten Gelderwerb, so Tiefenbacher weiter, daheim wurde das Geld in Lebenserhaltungskosten investiert, Notsituationen wie Krankheit finanziell ausgeglichen oder die Ausbildung der Kinder und Enkelkinder ermöglicht. Reich sei damit aber niemand geworden, der durchschnittliche Verdienst habe zwischen drei und 30 Euro am Tag betragen – je nach Wetter und Standort.
Nach Graz migrierten sowohl junge als auch ältere Menschen, Männer und Frauen. Viele der älteren hatten eine normale Erwerbsbiografie im Kommunismus hinter sich. „Meist fuhr jene Person nach Graz, die im Haushalt am entbehrlichsten ist“, sagte Tiefenbacher. Deshalb sah man auch Männer oder Großmütter. Organisiert sei dabei niemand gewesen, abgesehen von Fahrgemeinschaften und geteiltem Benzingeld, so die Wissenschafterin.
Die Wahrnehmung der Medien sehe allerdings ganz anders aus. „Generell werden alle Bettler zu Roma und alle Roma zu Bettlern“, stellte Tiefenbacher fest, „die Menschen werden austauschbar und zum Kollektiv, ihnen wird die Individualität abgesprochen.“ So entstehen Begriffe wie „Bettlerflut“, „Einwanderungswelle“ oder „Belagerung“.
Katastrophenbilder erzeugen Bedrohungsszenarien
Ihr Kollege, Stefan Benedik, Historiker an der Universität Graz, hat sich mit zwanzig Jahren Medienberichterstattung zum Thema Bettelmigration auseinandergesetzt. „Die Tradition, von Migranten als Naturkatastrophe zu sprechen, ist nicht auf Bettelmigrationen beschränkt. Damit signalisiert man: Migration ist katastrophisch, bedrohlich und muss bekämpft werden“, so Benedik. Diese Imagination von Bedrohung sei völlig losgelöst von den Fakten, sagt Benedik. Auch in der Medienberichterstattung selbst sei oftmals im selben Bericht von „Massen“ und von „etwa zwanzig Menschen“ die Rede.
Die Argumentation und der Vorwurf, die Bettler in Graz würden einer Masse angehören, seien organisiert und kriminell, „entspricht dem Wunsch, Argumente gegen Bettelei zu finden und die Bettler zu Täter zu machen“, erklärt Benedik. Dabei würden sich diese Bilder und Vorwürfe von mafiaähnlichen Organisationen und Menschenhandel in allen Medien finden: In katholisch geprägten Zeitungen genauso wie in Qualitätsmedien und im Boulevard. An den gleichen Stellen gebe es jedoch auch durchaus um Verständnis bemühte, seriöse Berichterstattung. „Die kann jedoch die Macht der Bilder kaum entkräften“, so der Historiker.
Die Erhebungen von Tiefenbacher und Benedik, die demnächst auch in Buchform erscheinen, fanden vor Einführung des allgemeinen Bettelverbots 2011 in Graz statt. Heute vermutet Benedik eine schlechtere Überschaubarkeit der Situation und eine Veränderung der Herkunftsländer der Bettelmigranten. Wissenschaftlich seien die Auswirkungen des Verbots jedoch noch nicht erforscht. (APA)