Fachkräftemangel

150.000 Fachkräfte gesucht: heimische Betriebe verzweifelt

Laut Wirtschaftskammer-Umfrage fehlen in den kommenden sechs Monaten allein bei 500 bedeutenden Unternehmen in Österreich 150.000 Fachkräfte. Ohne Lösung, „kostet das Österreich Wachstum und Wohlstand“, warnt die Generalsekretärin der WKÖ.

Wien - Die Zahl der Arbeitslosen steigt, gleichzeitig finden die Betriebe nicht genügend Personal. Alleine in den kommenden sechs Monaten benötigen die 500 im Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich befragten Betriebe 148.000 zusätzliche Mitarbeiter - vor allem Fachkräfte, also Personen mit Lehrabschluss (in Summe 89.000). Die Nachfrage nach Lehrlingen sei im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gestiegen, berichtete die Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich, Anna Maria Hochhauser, am Dienstag in einer Pressekonferenz. Etwa ein Fünftel der benötigten Arbeitnehmer werde nicht durch das inländische Arbeitskräftereservoir gedeckt. Österreich brauche daher auch eine gelebte „Willkommenskultur“ gegenüber qualifizierten Zuwanderern aus dem Ausland.

Zwei Drittel der Betriebe mit über 20 Mitarbeitern können jetzt schon nicht mehr alle Positionen besetzen, geht aus der market-Umfrage hervor. In erster Linie mangle es an Qualifikation und Mobilität. „Sie werden kaum einen Wiener oder eine Wienerin finden, der oder die in Tirol in der Gastronomie eine Lehre macht - aber Ostdeutsche sind dort“, veranschaulichte Hochhauser.

„Die Kluft zwischen dem Arbeitsangebot und den Qualifikationen, die bei den Arbeitslosen zur Verfügung stehen, ist ein Strukturproblem“, so Hochhauser. Am Inlandsmarkt müsse das Image von Lehrlingen gestärkt werden - etwa durch Zugangsmöglichkeiten zu den Fachhochschulen und Universitäten. Zudem soll man Anreize für das Weiterarbeiten im höheren Alter schaffen und Frauen in der Arbeitswelt besser unterstützen. „Wenn wir das in den nächsten Jahren nicht in den Griff bekommen, kostet uns das Wachstum und Wohlstand“, so Hochhauser.

Demographische Entwicklung verschärft Mangel

Dringend gesucht sind Mitarbeiter in technischen Berufen, im IT-und im Managementbereich, in der Kommunikationstechnologie und ganz allgemein im Dienstleistungsbereich. Derzeit drängen immer noch über 50 Prozent der weiblichen Lehrlinge in die Berufe Verkäuferin, Bürokauffrau und Friseurin.

Die aktuelle demografische Entwicklung verschärft das Problem: „Die Babyboomer-Generation aus den Sechziger-Jahren verlässt allmählich den Arbeitsmarkt und die Zahl der Schüler wird kleiner“, erklärte Bevölkerungsexperte Rainer Münz den Arbeitskräftemangel. Zudem entwickelten sich manche Branchen rasanter als die entsprechenden Ausbildungen dazu. 63 Prozent der Betriebe sprechen sich dafür aus, Frauen im Berufsleben besser zu unterstützen, indem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert wird.

59 Prozent wollen, dass der Standort Österreich für Zuwanderer attraktiver wird - 45 Prozent sind für den Aufbau einer Willkommenskultur und 40 Prozent befürworten eine gezielte Bewerbung der Rot-Weiß-Rot-Card, die auf Betreiben der Wirtschaftskammer vor einem Jahr eingeführt wurde. Die Rot-Weiß-Rot-Card ist ein Arbeits-und Aufenthaltsvisum für Drittstaatenangehörige plus deren engere Familie. Seit dem Start am 1. Juli 2011 seien bereits 2.000 Bewilligungen erteilt worden - es gab den Kammerangaben zufolge doppelt so viele Bewerber wie im alten Schlüsselkräfte-System.

Kurz sieht Zuwanderung als Chance

Die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland sei eine Chance bei der Bekämpfung des heimischen Fachkräftemangels, teilte Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (V) heute, Dienstag, in Reaktion auf eine Umfrage der Wirtschaftskammer Österreich in einer Aussendung mit. „Österreich braucht begabte, qualifizierte und engagierte Menschen, um als Wirtschaftsstandort erfolgreich zu sein.“

Die heimischen Betriebe schätzten vor allem das Engagement, die Flexibilität und die Sprachkenntnisse von Arbeitnehmern mit Migrationshintergrund. Die Zuwanderer müssten bestmöglich gefördert werden, „damit sie sich noch besser und rascher in den österreichischen Arbeitsmarkt integrieren können“.

Kurz forderte erneut die Anerkennung von Bachelor-Abschlüssen für die Rot-Weiß-Rot-Card, das Arbeits-und Aufenthaltsvisum für Drittstaatenangehörige. Aus Angst davor, dass zu viele Studierende nach ihrem Abschluss in Österreich bleiben würden, habe man die Beschränkung auf den Master beschlossen. „Jetzt wissen wir, wir haben durchaus Bedarf an gut ausgebildeten jungen Menschen, die dann auch in Österreich bleiben, um hier Steuern zu zahlen“, so der Staatssekretär.

Die österreichische Wirtschaft brauche Zuwanderung, bekräftigten die Obleute des Vereins Wirtschaft für Integration (VWFI), der stellvertretende Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien, Georg Kraft-Kinz, und der in Teheran geborene Wiener Teppichhändler Ali Rahimi. Der Unternehmensberater Boston Consulting Group habe bereits längst vor einem Fachkräftemangel gewarnt und Österreich empfohlen, sich als attraktives Einwanderungsland für qualifizierte Arbeitskräfte zu positionieren.

Wirtschaft soll ihre Hausaufgaben machen

In Sachen Fachkräftemangel müsse die Wirtschaft auch zuerst einmal ihre Hausaufgaben machen, teilte der Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der Arbeiterkammer, Josef Wallner, am Dienstag in einer Aussendung mit. Mit Blick auf die schwierige Lage am Arbeitsmarkt sollten die Betriebe jetzt die eigene Belegschaft weiterentwickeln und qualifizieren. Zuletzt seien die Arbeitslosenzahlen wieder massiv angestiegen - bei älteren und ausländischen Arbeitnehmern sowie bei den Leiharbeitern habe die Arbeitslosigkeit im August gegenüber dem Vorjahr zweistellig zugelegt.

„Widersprüchlich ist auch, dass die Unternehmen einerseits ständig nach neuen ausländischen Fachkräften rufen, dann aber nicht bereit sind, deren Qualifikation anzuerkennen“, kritisierte Wallner. Fast jeder dritte ausländische Arbeitnehmer werde unterhalb des Ausbildungsniveaus eingesetzt, gehe aus Studien der Arbeiterkammer Wien und Daten der Statistik Austria hervor. Zudem würden ausländische Arbeitnehmer auch geringer entlohnt als inländische. (APA)