Stradivari veruntreut: Geigenhändler geständig
Prozessauftakt gegen Dietmar M. in Wiener Straflandesgericht. Der 62-Jähriger: „Habe in meiner Not auf diese Instrumente zurückgegriffen.
Wien – Der renommierte Geigenhändler Dietmar M., dessen Unternehmen in seiner Blütezeit Niederlassungen in Bremen, Zürich, Wien und New York unterhielt, hat am Mittwoch im Wiener Straflandesgericht gestanden, mehrere, ihm kommissionell überlassene Streichinstrumente - darunter eine Violine von Antonio Stradivarius „Cremona“ aus dem Jahr 1727 - unterschlagen zu haben. Die veruntreuten Instrumente, die er zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten verwendet haben soll, stellten laut Anklage einen Wert von insgesamt 2,6 Millionen Euro dar.
Dietmar M. entstammt einer alt eingesessenen Bremer Geigenbau-Dynastie. Im Unterschied zu seinem Vater interessierte sich der Jurist aber nicht mehr für die Herstellung und Renovierung, sondern ausschließlich für die Geschäfte mit Geigen. Er stieg „zu einem der weltweit bedeutendsten Händler mit alten Streichinstrumenten auf“, bescheinigte ihm Staatsanwalt Herbert Harammer. In wirtschaftlicher Hinsicht sei dieser Erfolg allerdings „auf Sand gebaut“ gewesen: „Er hat das Leben eines reichen Mannes geführt. Heute wissen wir, dass das eine Fassade war.“
Dietmar M. hatte 1997 seinen „Lebensmittelpunkt ins Kaiserreich der Musik verlegt“, wie er dem Schöffensenat (Vorsitz: Claudia Moravec-Loidolt) darlegte. In Österreich lernte er eine um 27 Jahre jüngere Frau kennen und lieben, die er auch heiratete. Er erwarb Schloss Eichbüchl im niederösterreichischen Katzelsdorf. Mit den Geschäften ging es allerdings bergab. „Dieses Geschäft ist kein Dauergeschäft. Es gab immer Engpässe. In diesem Geschäft gibt es keine Regelmäßigkeit. Sie können sich vorstellen, dass die Decke mitunter kurz wurde“, gab Dietmar M. zu Protokoll.
Laut einem Sachverständigengutachten war im Jahr 2006 gar keine Decke mehr vorhanden. Die Unternehmensgruppe des Geigenhändlers soll zu diesem Zeitpunkt bereits zahlungsunfähig gewesen sein. Mit einer „geschickten Loch auf-Loch zu-Methode“ (Staatsanwalt) wirtschaftete er weiter, ehe 2010 der Konkurs erfolgte.
Als der Masseverwalter im Rahmen des Konkursverfahrens nach vorhandenen Vermögensbestandteilen und Geschäftspartner nach dem Verbleib ihrer dem Geigenhändler zum Weiterverkauf überlassenen Instrumente suchten, flogen die kriminellen Machenschaften des 62-Jährigen auf.
2009 hatte er in Wien eine Geige von Camili Mantua aus dem Jahr 1740 und eine \/iola von Carlo Ferdinano Landolfi aus dem Jahr 1765 im Gesamtwert von 1,2 Millionen Euro der Raiffeisenbank Niederösterreich, bei der er erheblich in der Kreide stand, zur Besicherung übergeben, nachdem bekanntgeworden war, dass eine Baufirma den Schlossbesitzer wegen ausstehender Zahlungen erfolgreich geklagt hatte und die Zwangsversteigerung von Schloss Eichbüchl drohte.
Er habe sich „in einer schauderhaften Situation“ befunden und „in meiner Not auf diese Instrumente zurückgegriffen. Die Bank drängte. Es ging um Tage. Ich hatte sonst nichts in der Hand“, sagte der Angeklagte.
Mit der Stradivari, die einem neuseeländischen Ehepaar gehörte und die einen Wert von einer Million Euro verkörperte, und einer weiteren Geige tilgte Dietmar M. Schulden, indem er diese in die Niederlande brachte und dort verkaufte. Der Verbleib eines fünften, ebenfalls veruntreuten Instruments sei ihm „ein Rätsel“, entschuldigte sich der 62-Jährige. Sein Anwalt meinte in diesem Zusammenhang, man müsse seinem Mandanten eine „Gedächtnislücke“ zugestehen.
Darüber hinaus versuchte der Angeklagte, für sein Schloss ein Belastungs- und Veräußerungsverbot zu erwirken, um es dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen. Seine private Kamera-Sammlung im Wert von 200.000 Euro versteckte er aus demselben Grund auf dem Dachboden im Haus seiner Schwiegermutter.
Außerdem soll er einem Geschäftspartner ein unrichtiges Wertgutachten erstellt haben, welcher ein vorgeblich kostbares Cello von Ferdinando Alberti um 300.000 US-Dollar verkaufen wollte. Dieses Instrument sei in Wahrheit „Krempel“ und „auf Ebay um 1.000 bis 1.500 Euro zu bekommen“, führte der Staatsanwalt ins Treffen.
Diesen Vorwurf ließ Dietmar M. nicht auf sich sitzen. Er habe niemals unrichtige Gutachten geschrieben, „und auch dieses war nach meinem Urteil richtig. Einen Absolutheitsanspruch gibt es nicht“. Ein Experte in Chicago habe das Cello mittlerweile mit 140.000 bis 240.000 Euro beziffert. Wenn der von der Anklagebehörde beigezogene Sachverständige den Wert auf maximal 1.500 Euro ansiedle, gebe er zu bedenken, „dass den Namen dieses Herrn außerhalb von Österreich niemand kennt. Mich - in aller Bescheidenheit - schon.“
Die Verhandlung ist auf drei Tage angesetzt und soll am kommenden Freitag zu Ende gehen. Für Dietmar M. geht es um bis zu zehn Jahre Haft. (APA)