„Ich wollt Ihnen nur eines sagen: Danke“

Es liegt in einem Einkaufszentrum, doch hier gibt es nichts zu kaufen: Seit zehn Jahren besuchen Menschen das Beratungszentrum „Der Brunnen“ im dez – um sich auszusprechen oder auch nur, um mitten im Trubel wieder zu sich zu finden.

Von Michaela Spirk-Paulmichl

Ihr hört wirklich zu. Das ist Balsam für meine Seele.“ „Ich bekomme bei euch Wertschätzung.“ „So stelle ich mir Kirche vor: einfach da sein und nicht urteilen.“ Die Besucherkommentare geben wieder, wofür „Der Brunnen“ steht. Menschen die Möglichkeit zu geben, sich auszusprechen, ist einer der Gründe, warum die Einrichtung der römisch-katholischen und evangelischen Kirche in Tirol vor zehn Jahren ins Leben gerufen wurde. Sich alles von der Seele reden – viele finden dabei wieder zu sich. So meinte einmal ein Besucher: „Ich habe bei euch reden gelernt – über mich und meine Gefühle.“ Für einen anderen sei das Gespräch sogar lebensrettend gewesen.

„Die Idee war, auf einen Marktplatz zu gehen – dorthin, wo viele Menschen sind. Nicht in einer Kirche zu warten und zu hoffen, dass jemand kommt, und vielleicht traurig zu sein, dass es immer weniger werden“, sagt Gebhard Ringler, Leiter des „Brunnens“. Der Priester und Logotherapeut will nicht zu jenen gehören, die gegen Einkaufzentren als neue Tempel wettern: „Sie sind nicht mehr wegzudenken, sie sind einfach eine Realität. Deshalb wollen wir sie als Chance sehen: Es geht darum, dass die Menschen hier nicht nur ein Warenangebot finden, sondern eben auch uns.“ Im „Brunnen“ werden Kunden zu Gästen. Sie kommen mit ihren Alltagssorgen, mit ihren Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder in der Beziehung, ihren Ängsten und psychischen Problemen. „Wir hören auch Menschen zu, denen niemand mehr zuhört. Vielleicht weil sie immer das Gleiche sagen. Oft sind das Störungen, über die sie selbst nicht hinwegkommen. Gemeinsam suchen wir nach Lösungen“, sagt Ringler. Die Besucher schätzen das Angebot. „Sie wissen: Wenn‘s brennt, können sie immer kommen.“ Manche von ihnen kommen regelmäßig.

„Viele tun sich leichter, in einem Einkaufszentrum eine Stelle wie unsere aufzusuchen: Hier muss sich niemand outen und wir sind leicht erreichbar, außerdem ist das Angebot kostenlos.“ Diese Vorgaben würden es vielen Menschen erleichtern, eine Beratungsstelle aufzusuchen – auch Männern, wie die vergleichsweise hohe Männerquote von 40 Prozent zeigt. Über sich zu reden, eine Beratungsstelle aufzusuchen, sei für viele noch ein Tabu.

Ringler: „Unsere Gäste können sich bei uns aussprechen, ohne ständig unterbrochen zu werden. Ich sag‘ immer, das ist besser als Hinunterspülen.“ In den Gesprächen wird außerdem versucht, minimale Schritte auszuarbeiten, die Distanz zu dem Problem schaffen. „Zum Beispiel, darüber lachen zu können. Das schafft am meisten Abstand.“

Manchmal kommen Gäste wieder, um sich zu bedanken. „Erinnern Sie sich noch an mich?“, meinte einer. „Ich wollt‘ Ihnen nur eines sagen: Ihr Rat hat mir sehr geholfen. Danke.“ Ringler: „Mir selbst ist das Angebot so wichtig, weil es zeigt, dass die Kirche bereit ist, sich zu wandeln, neue Formen auszuprobieren, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Die Kirche muss ansprechbar sein. Und sie gehört dorthin, wo die Menschen sind. Man muss nicht an historischen Mauern weiterbauen, man kann sie auch überwinden.“ Dass „Der Brunnen“ eine kirchliche Einrichtung sei, stehe aber im Hintergrund. „Wir tragen das nicht als Bauchladen vor uns her, wir wollen einfach helfen.“ Mitunter auch einigen der rund 1200 Angestellten im dez, die in einer Arbeitspause im Raum der Stille einen Ort finden, an dem niemand etwas von ihnen will.