Hochrangiger Deserteur: „Assad plant Chemiewaffen-Einsatz“
Der ehemalige syrische Generalmajor Adnan Sillu ist überzeugt, dass Assad im Fall eines Kontrollverlusts Chemiewaffen einsetzen werde. Mittlerweile haben die Rebellen einen weiteren Grenzposten eingenommen.
Istanbul/Damaskus - Syrische Rebellen haben einen weiteren Grenzübergang in die Türkei unter ihre Kontrolle gebracht. Nach Kämpfen vertrieben die Aufständischen am Mittwoch Truppen des Präsidenten Bashar al-Assad aus den Gebäuden des Grenzpostens Tell al-Abjad, berichtete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu. In Damaskus sind Aufständische hingegen von Regierungstruppen vertrieben worden, meldeten Oppositionelle und staatlichen Medien übereinstimmend.
Während die Nachrichtenagentur SANA über Erfolge im Kampf gegen „bewaffnete Terroristen“ schrieb, berichteten die Aktivisten, die Aufständischen hätten sich nach heftigen Kämpfen und Artilleriebeschuss aus dem Viertel Al-Hajr Al-Aswad zurückgezogen. Im Stadtteil Jobar wurden laut Opposition 20 Leichen von Männern gefunden, die öffentlich hingerichtet worden waren. Im Palästinenser-Viertel Jarmuk wurde ihren Angaben zufolge gekämpft.
Freudenfeiern an der Grenze
Nach der Einnahme des Grenzübergangs zu der Türkei kamen Syrer von der türkischen Seite aus zu Freudenfeiern über die Grenze. Seit dem Vortag hatte es heftige Kämpfe auch bis unmittelbar an die türkische Grenze gegeben. In dem türkischen Grenzdorf Akcakale waren am Vortag drei Menschen von Schüssen verletzt worden, darunter ein kleines Kind. Am Mittwoch hatten die Behörden die Schulen geschlossen und die Einwohner aufgefordert, in sicherer Deckung zu bleiben.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warf den syrischen Regierungstruppen „unerbittliche und wahllose“ Angriffe auf die Zivilbevölkerung vorgeworfen. Die Organisation berichtete unter Verweis auf Recherchen vor Ort, Zivilisten, darunter viele Kinder, seien die Hauptopfer des Konflikts. In 26 Dörfern und Städten der Region Idlib, Hama und Jabal al-Zawija seien in dieser Zeit 166 Zivilisten, darunter 48 Kinder und 20 Frauen getötet worden. Anstatt mit Infanterie gegen Stellungen der Rebellen vorzugehen, würden die Regierungstruppen verstärkt auf Artillerie- und Mörserbeschuss von Dörfern und Städten setzen, erklärte Amnesty.
Chemiewaffeneinsatz als „letzter Ausweg“ in Diskussion
Unterdessen wurde bekannt, dass die syrische Führung als „letzten Ausweg“ auch einen Einsatz von Chemiewaffen gegen die Bevölkerung plane. Man habe darüber diskutiert, auch darüber, „wie und wo wir sie anwenden könnten“, sagte der im türkischen Exil lebende Generalmajor Adnan Sillu der britischen Tageszeitung „The Times“. „Wir haben dies als letzten Ausweg diskutiert, für den Fall, dass das Regime etwa die Kontrolle über eine wichtige Gegend wie zum Beispiel Aleppo verliert“, ergänzte er.
Nach dem Treffen in einem Depot für die syrischen Chemiewaffen südlich der Hauptstadt Damaskus sei er vor drei Monaten desertiert, sagte Sillu, der in der Armee für die Chemiewaffen zuständig gewesen war. Die Zusammenkunft habe für seine Entscheidung zur Flucht den Ausschlag gegeben. In dem Gespräch mit der Zeitung zeigte sich Sillu überzeugt, dass Syriens Staatschef Assad Chemiewaffen tatsächlich einsetzen würde, sollte er die Kontrolle verlieren.
Assad empfängt iranischen Außenminister
Assad selbst empfing indes den iranischen Außenminister Ali Akbar Salehi in Damaskus. Zuvor habe Salehi seinen syrischen Kollegen Walid Muallem getroffen, meldete die staatliche Nachrichtenagentur SANA. Bei seiner Ankunft erklärte Salehi, er wolle mit der Führung über die derzeitige Krise im Land beraten. Diese könne nur „im Inneren der syrischen Familie“ beigelegt werden, „unter Beteiligung und Koordinierung aller internationalen und regionalen Einrichtungen“. Die iranisch-syrischen Beziehungen seien „sehr stark“, fügte der Teheraner Chefdiplomat hinzu.
Bei dem Aufstand gegen Assad wurden nach Angaben der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte seit März 2011 mehr als 27.000 Menschen getötet. Allein am Dienstag starben demnach 86 Menschen, darunter 65 Zivilisten, neun Rebellen und zwölf Soldaten. Die UNO-Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverbrechen meldete kürzlich eine deutliche Zunahme derartiger Verstöße. (APA/dpa/AFP/sda)