Ägypten noch ohne Plan für die Zukunft?
Ägyptische Journalisten und Blogger berichten in Wien über die Lage im Land.
Wien – Die Oppositionskräfte gegen das gestürzte Regime von Hosni Mubarak seien zersplittert und von ihrem plötzlich Erfolg überrascht gewesen. Sie hätten keinen Plan für die Zukunft Ägyptens gehabt. Nur die Muslimbrüder hätten die Gelegenheit ergriffen, um ihr Spiel zu spielen. Diese Einschätzung vertrat Wael Abbas, der als Top-Star der unabhängigen ägyptischen Medien und Bloggerszene gilt, am Mittwoch bei einem Besuch in der APA in Wien.
Zusammen mit Abbas war eine Reihe, meist jüngerer Journalisten zu einem Informations- und Gedankenaustausch nach Österreich gereist. Bei den Gesprächen wurden auch die jüngsten Angriffe auf US-Botschaften in arabischen Ländern erörtert. In Ägypten habe es sich dabei um eine kleine Gruppe von Extremisten gehandelt, die das lückenhafte Sicherheitssystem ausgenützt hätten, war der allgemeine Tenor.
90 Prozent der aktuellen Information aus Talkshows
Zum Einfluss der Islamisten in Ägypten meinte Abbas, er hoffe, dass die säkularen Elemente über die Medien und öffentliche Diskussionen genug Druck ausüben könnten. Der Videojournalist Heissam Sawy, der die Ereignisse am Tahrir-Platz dokumentiert hatte, wies darauf hin, dass die Ägypter „90 Prozent“ ihrer aktuellen Information aus Talk-Show-Sendungen beziehen. Die Moderatoren würden dabei aber oft opportunistisch agieren und die Position der einen oder anderen Seite einnehmen, je nachdem welche Seite gerade die mächtigere sei.
Die Situation der Medien in Ägypten sei auch nach dem Umsturz nicht ideal, sie seien keineswegs frei, hieß es. Druck gebe es vor allem vonseiten der Muslimbrüder, des Militärs, der neuen Regierung, einflussreicher Geschäftsmännern und der Sicherheitsdienste. Die ägyptischen Journalisten berichteten auch, dass ausländische Reporter unter Druck gesetzt würden. Verantwortlich dafür sei der Geheimdienst, der wie das Militär nach wie vor einflussreich sei und unabhängig von der Regierung agiere.
Zivilgesellschaft in der Funktion als „Wachhund“
Hoffnung setze Abbas vor allem in die Zivilgesellschaft in der Funktion als „Wachhund“ um u.a. den Zustand der Pressefreiheit und der Menschenrechte zu beobachten, zu kritisieren und an die Öffentlichkeit zu bringen. Seiner Meinung nach könne vor allem die Zivilgesellschaft Änderungen bewirken, auch wenn er sich die Zukunft betreffend „nicht sehr optimistisch“ gab.
Weiters wurde die Lage der Frauen thematisiert. Abbas unterstrich, dass in den 70er und 80er Jahren ägyptische Frauen unverschleiert und in kurzen Röcken, ja sogar am Strand im Bikini zu sehen gewesen seien. Dies habe sich nun drastisch verändert. Die Agentur-Journalistin Huda Abdel Kader berichtete, in den letzten Jahrzehnten sei der Einfluss der arabischen Golfstaaten in Ägypten gewachsen, nicht zuletzt durch von Gastarbeitern nach Hause geschickte Petrodollars und bereits wieder in ihr Heimatland Zurückgekehrte. Dies habe einen gesellschaftlichen Mentalitätswandel mit sich gebracht. Nun würden sogar aufgrund einer saudischen Fatwa minderjährige Mädchen verheiratet, manchmal sogar mehrmals.
Frauen seit Sturz Mubaraks „offener“
Die Bloggerin Sara Mostafa aus Alexandrien betonte, dass die ägyptischen Frauen seit dem Sturz Mubaraks „offener“ geworden seien und sich weniger „ein Blatt vor den Mund nehmen“ würden. Auf manchen Ebenen habe sich die Lage der Frauen zwar „verbessert“, insgesamt jedoch verschlechtert. Sexuelle und verbale Belästigungen seien angestiegen, auch Übergriffe durch die Polizei. Und bisher gebe es noch kein gültiges Gesetz um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. (APA)