Schäferstündchen mal anders

Er ist 24 Jahre alt, Student und er hat einen außergewöhnlichen Job. Der Mieminger Matthias Dengg verdient sein Geld mit Schafescheren und das nicht nur am eigenen Hof.

Von Miriam Hotter

Mieming –Der Weg zum Schuchterhof in Untermieming führt auf einen kleinen Hügel. Das Blöken der Schafe ist schon von Weitem zu hören. Am Hof angelangt, führt uns eine Spur aus Wollhaaren an jenen Ort hinter dem Stall, an dem 270 Tiroler Bergschafe ihre Hüllen fallen lassen.

Mit geübtem Griff packt Matthias Dengg ein Schaf, setzt es mit dem Hintern auf seine Schurbank, hält es mit dem linken Arm fest und schert mit der rechten Hand. „Ich bekomme dabei den Kopf frei“, sagt 24-jährige Schafscherer. Bei dem lauten Geräusch der elektrischen Maschine verwundert das ein wenig, doch Dengg schwört darauf. Das Schaf wehrt sich mit Zappeln und Blöken gegen das Scheren. „Ganz ruhig bleiben ist wichtig“, betont Dengg. Schließlich ist die Schermaschine sehr scharf, eine Unachtsamkeit könnte das Schaf verletzen. Diese Ruhe scheint sich auf das Tier zu übertragen. Es hält plötzlich ganz still und lässt dann ohne ängstliches Blöken seinen Pullover los.

Heute hilft Dengg seinem Vater bei der Schur, die jedes Jahr im Frühjahr und im Herbst gemacht werden muss. Der 24-Jährige hat sein Hobby zum Beruf gemacht. „Seit zweieinhalb Jahren helfe ich Schafbauern bei der Schur“, erzählt der Student für Management, Kommunikation und Informatik am MCI in Innsbruck. Dafür hat er einen viertägigen Schafschererkurs in Deutschland absolviert, denn außer ihm gibt es niemanden in der Familie, der dieses Handwerk beherrscht. „Heuer war ich im ganzen Oberland unterwegs, um Schafe zu scheren“, sagt Dengg. Pro geschorenem Schaf erhält er drei Euro.

Heute schert er die Schafe umsonst, immerhin gehören diese seinem Vater. Dafür hat Dengg sich Verstärkung geholt. Der Deutsche Emanuel Gulder schert Schafe hauptberuflich und ist ein Profi auf seinem Gebiet. Er „erledigt“ 30 Schafe pro Stunde. Dengg schert zwölf Tiere in derselben Zeit. „Das ist eine Sache der Übung“, sagt der 24-Jährige. Und es komme auch auf die Rasse und die Menge der Wolle an. „Ein Tiroler Bergschaf besitzt nicht so viel Wolle wie ein Walliser Schwarznasenschaf“, gibt er ein Beispiel.

Ein Tiroler Bergschaf besitzt etwa zwei Kilogramm Wolle – nach ca. 30 geschorenen Schafen hat sich ein riesiger Wollhaufen auf der so genannten Scherstation gebildet. Am Ende des Tages wird ein Teil des Schaffells zur Wollverwertung nach Umhausen gebracht. Dort verarbeitet man die Wolle zu Teppichen oder Betten. Pro Kilogramm Wolle verdient die Familie 60 Cent, „mit diesem Preis ist kaum ein Gewinn zu erzielen“, erzählt Dengg. Der zweite Teil der Wolle kommt zum Schafzuchtverband nach Innsbruck. „Die bringen die Wolle dann nach Belgien, wo sie gewaschen wird, und dann kommt sie wieder retour.“ Das Naturprodukt Schafwolle verwerten heimische Firmen wie „Tirol Wool“, die u. a. Funktionskleidung für Hobbysportler herstellt.

Bei den herbstlichen Temperaturen wäre so eine wärmende Strickjacke genau das Richtige. Doch den Schafscherern ist alles andere als kalt. Im Gegenteil. Bei der anstrengenden Arbeit kommt Dengg ganz schön ins Schwitzen. Das Schafescheren läuft wie am Fließband: Ein Tier nach dem anderen wird zur Schurstation gebracht. Und dabei sieht es aus, als würde das Schaf aus seiner Wolle herausgeschält werden. Um seinen Oberkörper zu entlasten, schlüpft der junge Schafscherer in eine Art Gurt, die auf einer Halterung über ihm befestigt ist. „Das erleichtert die Arbeit sehr“, erklärt Dengg, als er den Schwanz eines Schafes noch zurechtzupft.

Nun ist auch das letzte Schaf vor der wohl verdienten Kaffeepause geschoren. Nackt und dünn sieht es aus. Im ersten Moment scheint es so, als stünde das Schaf ganz wackelig auf den Beinen. Aber nur einen Augenblick, dann rennt es, so schnell es kann, zur übrigen Herde im Stall.