Schuldenkrise

Neuer Schuldenschnitt für Griechenland?

Nach Ansicht von Commerzbank-Chef Martin Blessing reicht der erste Schuldenschnitt nicht aus. Er hält einen neuerlichen Forderungsverzicht der Gläubiger für wahrscheinlich. Laut „Financial Times Deutschland“ gibt es tatsächlich eine Diskussion über einen weiteren Schuldenschnitt.

Athen/Berlin - Während die griechische Regierung mit ihren internationalen Geldgebern über weitere Sparanstrengungen feilscht, hat Commerzbank-Chef Martin Blessing einen zweiten Schuldenschnitt für das Land erneut ins Gespräch gebracht. „Wir werden am Schluss nochmal einen Schuldenschnitt in Griechenland sehen, an dem sich alle Gläubiger beteiligen werden“, sagte Blessing am Donnerstag in Frankfurt. Anders als im Frühjahr könnten dann auch öffentliche Gläubiger wie die Europäische Zentralbank (EZB) und nationale Notenbanken zur Kasse gebeten werden. Unterdessen kam es nach Reuters-Informationen bei den jüngsten Gesprächen zwischen Griechenlands Regierung und der Troika aus EZB, EU-Kommission und IWF zu Spannungen über Reformen im überdimensionierten öffentlichen Dienst.

Die Regierung des konservativen Regierungschefs Antonis Samaras verhandelt seit Tagen mit Troika-Experten darüber, mit welchen konkreten Maßnahmen sich die angestrebte Einsparsumme von knapp 12 Mrd. Euro erreichen lässt. Eine Einigung dazu ist die Voraussetzung, damit dringend benötigte Milliardenhilfen von rund 31 Mrd. Euro freigegeben werden.

In der Gesprächsrunde der Troika-Experten mit der Regierung am Mittwochabend kam es nach Angaben eines Regierungsvertreters hitzige Diskussionen. „Es gibt Meinungsverschiedenheiten über die Effektivität der Maßnahmen zur Umstrukturierung des öffentlichen Sektors.“ Ein anderer Top-Beamter fügte aber hinzu, diese Spannungen hätten gegen Ende des Treffens abgebaut werden können. Vor diesem Gespräch hatte die griechische Seite Hoffnungen genährt, dass eine Einigung auf konkrete Einsparungen von 9,5 Mrd. Euro der notwendigen Gesamtsumme von 11,7 Mrd. Euro bevorstehe. Die Gespräche sollten am Donnerstag fortgeführt werden.

Zweifel an Reformen und Einsparungen

Aber auch innerhalb seiner eigenen Koalitionsregierung hat Samaras Probleme, volle Unterstützung für seine Sparvorschläge zu gewinnen. Ein weiteres Gespräch der Chefs der Koalitionsparteien soll dabei helfen. Zudem sieht sich die Regierung massiven Protesten ausgesetzt. Am Donnerstag war der U- und Stadtbahnverkehr in Athen durch einen 24-Stunden-Streik der Beschäftigten zeitweise stark beeinträchtigt. Zudem steht die Ankündigung eines Generalstreiks für nächste Woche im Raum.

Ungeachtet dessen halten sich in der Finanzwirtschaft Zweifel, ob das aktuelle Hilfepaket für Griechenland und die damit dafür geforderten Reformen und Einsparungen ausreichen, um das Land finanziell wieder auf Kurs zu bringen. Commerzbank-Chef Blessing glaubt das nicht, wie er bei einer Konferenz in Frankfurt deutlich machte. Er hält einen neuerlichen Forderungsverzicht der Gläubiger unter Einschluss der staatlichen Geldgeber für wahrscheinlich.

Erst im März hatten die privaten Gläubiger des Landes einem Anleihentausch zugestimmt, mit dem das Land um Schulden im Umfang von rund 100 Mrd. Euro entlastet worden war. Die EZB hatte damals mit der Begründung nicht teilgenommen, dass sie kein privater Gläubiger sei. Sie hatte am Markt rund 38 Mrd. Euro für griechische Staatsanleihen ausgegeben, die einen Nennwert von 50 Mrd. Euro haben. Zudem halten die Notenbanken der Euro-Länder noch griechische Anleihen. Die Schätzungen liegen bei rund zwölf Mrd. Euro.

Inzwischen heißt es, die damalige Aktion reiche nicht aus, um die Gesamtverschuldung des Landes bis 2020 auf 120 Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken. Schon im Juli war deshalb in EU-Kreisen die Notwendigkeit eines weiteren Schuldenschnitts ins Gespräch gekommen, der dann auch die EZB und die nationalen Notenbanken treffen könnte.

Die „Financial Times Deutschland“ berichtet in ihrer Freitag-Ausgabe, im Mittelpunkt der Überlegungen für einen zweiten Schnitt stünden die bilateralen Kredite an Griechenland aus dem ersten Hilfsprogramm von Mai 2010 bis Ende 2011 im Volumen von 53 Mrd. Euro. „Die Diskussion gibt es“ zitierte die Zeitung einen hochrangigen Insider. Der IWF dränge auf einen Schuldenschnitt der öffentlichen Geldgeber, berichtete die Zeitung. Weder IWF noch EZB würden sich selbst daran beteiligen: der IWF bestehe auf seinem Status als vorrangiger Geldgeber und die EZB argumentiere intern, dass ein Schuldenerlass direkte Staatsfinanzierung sei.

Große Wahrscheinlichkeit für Grexit 2013

Für die Schweizer Großbank UBS rückt ein baldiges Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone näher: „Unser Basisszenario geht davon aus, dass Griechenland nächstes Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent austreten wird“, sagte UBS-Chefökonom Daniel Kalt. Grund seien die hohen Schulden. Griechenland hänge am Tropf der Europäer, die jedes Quartal wieder Geld zuschießen müssten, sagte Kalt in einem Interview mit der „Basler Zeitung“ vom Freitag. Der Schuldenschnitt, der die privaten Gläubiger zur Kasse gebeten habe, habe die Schuldenquote Griechenlands gerade mal um 8 Prozent reduziert. Sie liege aber immer noch bei mehr als 150 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP).

„Das Problem ist noch lange nicht gelöst, es geht weiter“, sagte Kalt. Die Troika-Experten hätten jeweils beide Augen zudrücken müssen, damit weiterhin Geld nach Athen geflossen sei. „Das wird nicht mehr so lange weitergehen“, sagte Kalt.

Bei einem Ausscheiden Griechenlands aus der Gemeinschaftswährung entstünde erneut Druck auf den Franken. „Das kann dann dazu führen, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) - wie schon in diesem Frühjahr - für mehrere zehn Milliarden Euro kaufen muss“, sagte Kalt.

Die Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenbruch der Währungsunion sei aber minimal. Wahrscheinlicher sei, dass der Euro-Raum über fünf oder zehn Jahre hinweg geordnet verkleinert werde.

„Man nimmt zum Beispiel Portugal raus, dann später Spanien und so weiter. Wenn es geordnet abläuft, ohne größere Verwerfungen, kann es sein, dass ein Rest-Euro, bestehend aus den Kernländern übrig bleibt“, sagte Kalt. Dies könnte durchaus ein starke Währung sein.

Der UBS-Chefökonom warnte Schweizer Firmen vor Produktionsverlagerungen nach Deutschland. Zwar scheine Deutschland attraktiv, weil der Euro so schwach sei. Wenn aber der Euro gesunde oder Deutschland wieder die D-Mark bekomme, finde dort eine dramatische Aufwertung statt. Die Kostenvorteile wären damit dahin. (APA/Reuters)