„Braune“ Schatten, die über Tirols Bergen liegen
In Tirols Bergen, vor allem im Ötztal, gibt es noch Spuren von Nazi-Vergangenheit. Mit dieser Kritik muss sich der Oesterreichische Alpenverein und Tourismus auseinandersetzen. Eine Spurensuche bis Berlin.
Von Liane Pircher
Innsbruck –Wanderer, die in Vent an der glatten Felswand hinter Rofen vorbeikommen, sehen sie auf den ersten Blick. Jene Gedenktafel, die an einen gewissen Waldemar Titzenthaler erinnert: „Zum Gedenken an den Kämpfer für das Deutschtum“ steht hier seit 1937 unverändert. Was die wenigsten wissen: In der Felsnische ist die Urne mit der Asche des Verstorbenen, es handelt sich also um ein richtiges Grab.
Der Weg zum Hochjochhaus, der vorbeiführt, war bis 2003 auch nach Titzenthaler benannt. Nachdem der Deutsche nachweislich ein Antisemit war, distanzierte sich die zuständige Sektion Berlin des Deutschen Alpenvereins von der Namensgebung. 2003 wurde der Weg in „Cyprian-Granbichler-Weg“ umgetauft.
Für den Ötztaler Volkskundler und Autor Hans Haid ist das zu wenig: „Wir werden hier an einen fanatischen Verfechter deutschnationaler Ideologie erinnert. Tausende Wanderer gehen hier vorbei. Diese Tafel muss weg oder eine Zusatzinformation her.“
Bei der zuständigen Sektion Berlin ist man sich der Problematik bewusst: „Titzenthaler war Juden- und Ausländerhasser. Da gibt es keine Zweifel. Wir stellen uns der Geschichte und diesem schweren Erbe“, sagt Geschäftsführer Bernd Schröder. Deshalb überlege man seit Längerem, eine ergänzende Erklärung – eine Art Sondertafel – an der Stelle anzubringen. Die Diskussion sei aber noch im Gange. Es gebe nämlich auch Gegenstimmen, die der Meinung sind, mit diesem Zeichen überhöhe man die Person Titzenthaler erst recht. Gleichzeitig betonen die Vertreter der Sektion Berlin, dass sie gegen die Grabstätte an sich aber ohnehin nichts tun könnten: „Grund und Boden gehören uns nicht, außerdem sind wir keine Grabschänder. Das muss auf Seiten der Österreicher geregelt werden, es ist ihre Angelegenheit“, sagt Klaus Kundt, Ex-Vorsitzender der Sektion Berlin und langjähriger Hüttenwirt der Brandenburger Hütte.
Wer zuständig ist, ist offen: Für das Grab gibt es nämlich keinen amtlichen Eintrag. Offiziell existiert es nicht. Es ist aber da.
Auch der Oesterreichische Alpenverein glaubt bei dieser Thematik die Hände gebunden zu haben. Dieser distanziert sich ebenfalls von Titzenthaler: „Wir waren der Sektion Berlin mit Unterlagen behilflich, mehr können wir nicht tun“, sagt Martin Achrainer vom Historischen Archiv des OeAV. Vehement wehrt sich der Oesterreichische Alpenverein hingegen gegen Hans Haids Vorwurf hinsichtlich der Martin-Busch-Hütte hinter Vent. Auch dieser sei ein Nazi und nachweisliches NSDAP-Mitglied gewesen, sagt Haid. Deshalb müsse die Hütte wieder in den alten Namen „Samoar“-Hütte umbenannt werden: „Sie hat ja vorher Hermann-Göring-Haus geheißen und ist die einzige Hütte des Alpenvereins gewesen, die nach einem Naziboss benannt worden ist“, sagt Haid. Es sei schlicht falsch, dass der Tiroler Lehrer Martin Busch ein Nazi war. Er sei zwar Mitglied des NS-Reichkriegerbundes gewesen, dies sei aber nicht mit der NSDAP gleichzusetzen, sagt Martin Achrainer. Hier werde einem Mann Unrecht getan. „Wir sagen, was gewesen ist, wir sagen aber auch, was nicht gewesen ist“, sagt dazu Robert Renzler, Generalsekretär des OeAV. Der Alpenverein habe sich nicht zuletzt anlässlich seines 150-jährigen Bestehens intensiv und bewusst mit den dunklen Seiten seiner Geschichte auseinandergesetzt. Mit dem Buch „Berg Heil“, das im Herbst 2011 herausgegeben wurde, war man um eine kritische Analyse zwischen 1938 und 1945 bemüht.
Dass damit nicht alle „kritischen“ Namen und Personen bis in die hintersten Ecken und Kanten ausgeleuchtet sind, kann bei 400 Sektionen und 200.000 Mitgliedern zu dieser Zeit sein, so Renzler. Allen sei klar, dass die Aufarbeitung noch lange nicht zu Ende ist.
Trotzdem: Für Haid sind die dunklen Schatten der ehemaligen Sektion Brandenburg, die 1945 zur Sektion Berlin wurde, zu langsam und vor allem lückenhaft aufgearbeitet. Neben Titzenthaler und Busch hat der Ötztaler nämlich noch andere Namen auf seiner „kritischen“ Liste: die Dahmann-, Ehrichspitze sowie den Delorette-, Richter- und Oscar-Reuther-Weg. Für ihn alles gleichgesinnte Mitstreiter Titzenthalers. „Braune“ Schatten der Vergangenheit, die endlich aus dem hinteren Ötztal weg müssten.