Der beschädigte Kanzler
Die Weigerung der SPÖ, ihren Parteichef Werner Faymann als Zeuge in den U-Ausschuss laden zu lassen, ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Doch die Inseratenaffäre wurde der Kanzler trotzdem nicht los.
Von Michael Sprenger
Wien –Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) wird sich vielleicht selbst die Frage stellen, ob er gemeinsam mit seinem Beraterstab die falsche Strategie entworfen hat. Und wenn er, Faymann, im Selbstgespräch nicht gegen die Wahrheitspflicht verstößt, dann kann er sich wohl nur eine Antwort geben. Die gewählte Strategie war die falsche, die Sache wurde gründlich vergeigt.
Das Beinahe-Abdrehen des U-Ausschusses zu den Korruptionsfällen durch die Regierungsparteien ÖVP und SPÖ – und vor allem die erzwungene Nicht-Ladung des Kanzlers – waren an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Auch wenn der Preis für diesen legalen Anschlag auf den Parlamentarismus erst nach den kommenden Nationalratswahlen zu beziffern sein wird, so kann doch jetzt schon von einem beschädigten Kanzler gesprochen werden. „Dieser nahezu beispiellose Vorgang der vergangenen Tage wird den Bundeskanzler begleiten. Er wird diesen Schatten nicht mehr los“, sagt der Politikwissenschafter Fritz Plasser. Plasser selbst kann nicht nachvollziehen, warum der Kanzler und seine Berater sich so darauf versteift haben, alles zu unternehmen, damit Faymann in der Inseratenaffäre nicht von den Parlamentariern befragt werden darf. „Natürlich ist ein Gang in den U-Ausschuss unangenehm. Doch Werner Faymann hätte mit einer Offensivstrategie eine sich bietende argumentative Chance für sich nützen können.“ Stattdessen kneift er – und wird das Thema so nicht los.
Wenn das Parlament der Meinung war, die Inseratenaffäre sollte im U-Ausschuss als eigener Punkt behandelt werden, und die Regierungsparteien dafür sorgen, dass die wichtigste Auskunftsperson, nämlich Werner Faymann, nicht befragt werden darf, dann ist dies zumindest skurril. Selbst wenn es mitunter zu weit geht, gleich von einem Schuldeingeständnis zu sprechen – denn Faymann ist weiterhin davon überzeugt, nichts Unrechtes getan zu haben –, so eröffnet die Affäre einen Blick auf das System Faymann.
Der Aufstieg Faymanns wurde vom Boulevard begleitet und gefördert. Und so wie es Faymann schon als Wiener Stadtrat verstand, sich mit dem Boulevard zu arrangieren, so machte er es auch nach seinem Wechsel in die Bundespolitik. Er hat als seinerzeitiger Verkehrsminister seinen Weg als Stadtrat fortgeführt. Er nützte seine politische Macht, um mit öffentlichen Geldern in Boulevardmedien Inserate zu schalten, die für ihn einen Mehrwert bedeuteten. In der so genannten Inseratenaffäre geht es um die Klärung der Frage, ob Faymann als Verkehrsminister und sein damaliger Kabinettschef Josef Ostermayer die staatsnahen Unternehmen ÖBB und Asfinag vergattert haben, in bestimmten Boulevardzeitungen Inserate zu schalten.
Faymanns Bündnis mit dem Boulevard war für ihn bislang erfolgreich. Deshalb wird er auch von diesem Weg – ein Jahr vor der Nationalratswahl – nicht abweichen. Das trotzig-dreiste Verhalten der SPÖ und des Kanzlers gegenüber dem U-Ausschuss führte zwar zu einem Aufschrei bei Künstlern, Verfassungsexperten und wurde von Qualitätsmedien scharf kommentiert, aber von jener Seite, die Faymann am allerwichtigsen ist, nämlich von der Kronen Zeitung, wurde er hierfür gehätschelt.
Die zweite tragende Säule im System Faymann ist der parteiinterne Gehorsam. So wurden in den vergangenen Tagen von den Granden der Partei bis zur intellektuellen Selbstaufgabe das Verhalten Faymanns, das versuchte Abdrehen des Untersuchungsausschusses, das Nicht-Erscheinen des Kanzlers vor dem U-Ausschuss verteidigt. Nationalratspräsidentin Barbara Prammer wollte in der „Friss, Vogel, oder stirb!“-Politik des vergangenen Mittwochs gar einen lebendigen Parlamentarismus erkannt haben. Klubobmann Josef Cap verstieg sich in seinem Zynismus so weit, dass er meinte, keinen Sinn für ein Erscheinen des Kanzlers vor dem U-Ausschuss zu erkennen, weil Faymann doch schon im ORF-Sommergespräch von Armin Wolf hierzu befragt worden sei. Doch Cap dürften alle seine Wendungen nichts genützt haben. Er wird von Ostermayer und Faymann dafür verantwortlich gemacht, dass er am Mittwoch das schon beschlossene Ende des U-Ausschusses nicht umgesetzt hatte. Cap rechnete nicht damit, dass die ÖVP in letzter Minute noch einmal die Tür zum U-Ausschuss aufmacht, nachdem sie ihre Forderungen (Stopp der Aktenlieferungen) zuvor absichern konnte. Cap hätte die Tür zuhalten sollen, wird ihm vorgeworfen.
Der lächelnde Kanzler wird sich in seinem Selbstgespräch sagen hören, dass er Opfer seiner Strategie geworden ist – wenn er sich nicht anlügt.