„Wehrpflicht-Debatte ist unehrlich“
Ein österreichisches Berufsheer habe gutes Know-how, sagte Eva Glawischnig als Gast in der TT-Lounge. Den Zivildienst zum Hauptargument für die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht zu machen, lehnt sie ab.
Wien –Sind die Grünen eher links positioniert wie die Wiener Grünen als SPÖ-Juniorpartner in der Bundeshauptstadt? Oder doch Mitte-rechts wie der oberösterreichische Grünen-Chef Rudi Anschober in der Koalition mit der ÖVP? Das wollten TT-Chefredakteur Mario Zenhäusern und der frühere Nationalratspräsident Andreas Khol im Talk mit Grünen-Obfrau Eva Glawischnig herausfinden. „Mich irritiert, dass man in Österreich immer entscheiden muss, zu welcher Seite man eher gehört. Das geht von den Autofahrerklubs über die Meinungsforschungsinstitute bis zu den kleinen Parteien“, antwortet Glawischnig, die seit 2008 Obfrau der Grünen ist. „Im Bereich der Ökologie sind die Grünen sicher eine konservative Partei“, versuchte sie dann doch eine Einteilung. Dass die Grünen in Wien mit der Ausweitung des Parkpickerls eine „kantige Verkehrspolitik“ machen können und gleichzeitig in Oberösterreich seit zehn Jahren mit der ÖVP die Wirtschaft mit dem grünen Jobprogramm verknüpfen („jede fünfte Solaranlage, jeder sechste Pelletskessel, die in der EU verkauft werden, kommen aus Oberösterreich“), gehöre zum „weiten Spektrum“ der Partei, so Glawischnig.
Unverständlich ist für sie, dass das Parkpickerl in Wien so emotional diskutiert wird: „Ich stehe zur Parkraumbewirtschaftung und halte sie für sinnvoll, es gibt einfach weniger Verkehr und weniger Lärm.“ Immerhin pendelt täglich „eine Autoschlange, die von Wien nach Paris reicht“, aus dem Umland in die Bundeshauptstadt ein: „Das ist eine Herausforderung für die Stadt.“ Auch bestehe beim Thema Feinstaubbelastung Handlungsbedarf. „Wir werden irgendwann einen Brief von der EU erhalten, dass die Republik Österreich zahlen muss, weil Graz und Wien ihre Feinstaubziele nicht erreichen“, glaubt die Grünen-Chefin. Dabei verweist sie auf Länder, wo es Beschränkungen für Autos in Innenstädten gibt: „In Deutschland gibt es 140 Städte mit Umweltzonen. Die gibt es auch in Italien.“
Kopfzerbrechen bereitet Glawischnig auch der europakritische Kurs der neuen Partei des Industriellen Frank Stronach: „Den Vorschlag, jedes Land solle seinen eigenen Euro haben, halte ich für Harakiri. Das kann nicht ernst gemeint sein.“ Gerade in den nächsten fünf Jahren sei die Europapolitik enorm wichtig und es werde viel Anstrengung brauchen, die Europäische Union in den Bereichen Wirtschafts- und Steuerharmonisierung in Richtung mehr Integration weiterzutreiben. Da brauche es „Politiker, die auch dafür stehen“. Sie sieht für das Team Stronach aber auch viel Zuspruch, vor allem von Menschen, die sich kaum mit Politik beschäftigen und nun das Gefühl haben, es komme etwas Neues. Anders beurteilt das Glawischnig: „Ich zähle Stronach eher zum alten System. Dazu gehört letztlich auch, sich Politiker zu kaufen. Dass uns das weiterbringt, bezweifle ich.“
Ob die Grünen eine Empfehlung zur Wehrpflicht-Volksbefragung am 20. Jänner 2013 abgeben werden, sei noch nicht endgültig entschieden. „Ich bin sehr dafür aufzurufen, hinzugehen und für die Abschaffung der Wehrpflicht zu stimmen“, sagt Glawischnig beim TT-Talk. Die Grünen sind für die Einrichtung eines Freiwilligenheers mit 6000 Soldaten. Deren Aufgabe könnte sein, zivile Strukturen nach militärischen Auseinandersetzungen wieder aufzubauen. Denn „da haben wir gutes Know-how, das haben wir nach dem Balkankrieg gesehen“. Der Katastrophenschutz solle ähnlich wie in Deutschland organisiert werden, unter Einbindung der Feuerwehren. Der Zivildienst solle zu einem freiwilligen Sozialjahr werden, der auch für Frauen geöffnet wird. Die Parteichefin plädiert dafür, die verschiedenen Modelle sachlich zu diskutieren, denn: „Die Diskussion wird im Moment unehrlich geführt.“ Es werde ausschließlich über den Zivildienst diskutiert, der sei das Hauptargument, die Wehrpflicht aufrechtzuerhalten: „Ich finde, die Rettung muss in einem Land wie Österreich auch ohne Zivildiener funktionieren.“ Natürlich stünde gerade der Rettungsdienst vor dem größten Problem, sind doch die Hälfte der Beschäftigten Zivildiener. „Dieses Problem muss man lösen“, so Glawischnig. Das Ehrenamt sieht sie durch den Wegfall der Zivis nicht gefährdet: „Es ist Teil unserer Kultur.“
Bei der drohenden Kürzung des EU-Budgets für Förderungen für den ländlichen Raum und dem möglichen Verlust des Österreich-Rabatts will die Grünen-Politikerin nicht auf ein Veto setzen: „Davon halte ich generell nichts.“ Die Öko-Förderung sei wichtig, sie solle aber von einer Direktförderung von Bauern zur Entwicklung des ländlichen Raumes umgeschichtet werden: „Da gehört Infrastruktur, Kinderbetreuung und Gesundheit dazu.“
Das Demokratiepaket der ÖVP gehe in die richtige Richtung, so die Parteichefin, man müsse aber manches verbessern. So sieht die ÖVP-Variante vor, dass Ministerien eine Anfrage von 10.000 Bürgern beantworten müssen. Der Standpunkt der Grünen: „Selbst wenn eine Person eine ernsthafte Anfrage schreibt, muss ein Ministerium antworten.“ Dem Ausbau des Vorzugsstimmenwahlrechts kann sie positive Seiten abgewinnen, „man muss aber zu Ende denken, was das heißt“. Denn die Stärkung von persönlichkeitsfördernden Elementen bedeute in Österreich traditionell eine größere Männerlastigkeit: „Und ich will nicht, dass dann aus den Wahlkreisen nur die Ortskaiser kommen. Ich wünsche mir mehr Buntheit.“ Schon jetzt seien die Grünen die einzige Parlamentspartei mit einem Frauenanteil von 50 Prozent, im Parlament liegt dieser bei 27 Prozent. Das sei „blamabel“, so das Urteil der Grünen-Chefin. (ritz)